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Der falsche Apostel

Der falsche Apostel

Titel: Der falsche Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
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etwas einfältigen Geschöpf, das neben ihr saß, und fragte leise: »Wer
     war das, den sie da hinausgetragen haben?« Sie war zwei Wochen in Tara, dem Hauptort der fünf Königreiche von Irland und dem
     Sitz des Hochkönigs, gewesen und wusste nicht, was sich in der Zwischenzeit in ihrer Gemeinschaft ereignet hatte.
    Schwester Luan wartete, bis die grelle Stimme von Schwester Murgain in ihrem Singsang
    Regis regum rectissimi
    prope est dies Domini
    eine kleine Pause machte.
    »Ein Gast, der im
tech-óired
wohnt. Sillán heißt er, aus Kilmatan.«
    Alle frommen Häuser im Land hatten ein
tech-óired
auf ihrem Gelände, ein Gästehaus für Durchreisende oder auch für wichtige Besucher, denen man Gastfreundschaft erwies.
    »Und wer ist dieser Sillán?«, forschte Schwester Fidelma weiter.
    Sie spürte einen energischen Händedruck auf der Schulter und schreckte hoch. Gab es jetzt eine Rüge, weil sie während des
     Gebets gesprochen hatte? Sie sah in die vorwurfsvolle Miene von Schwester Ethne. Die schon ältere Nonne mit dem verhärmten,
     an einen Habicht erinnernden Gesicht und stets zusammengekniffenen Lippen war bei den jüngeren Mitgliedern der Schwesternschaft
     gefürchtet. Wenn sie einen anschaute, hatte man das Gefühl, ihre fahlen, leblosen Augen würden durch einen hindurch sehen.
     Es hieß, sie wäre so alt, dass sie schon im Dienste Christi stand, als die heilige Brigid vor einem Jahrhundert hierher gekommen
     war, um eben an dieser Stelle die erste Abtei für Frauen im Land zu begründen. Der Name Kildare, Kirche an der Eiche, leitete
     sich von jenem Kirchlein |21| her, das im Schatten der großen Eiche errichtet wurde. Schwester Ethne war die
bean-tigh
, die Hausverwalterin, in deren Verantwortung die alltäglichen Belange der Schwesternschaft lagen.
    »Die Äbtissin wünscht dich unverzüglich in ihren Räumlichkeiten zu sehen«, erklärte Schwester Ethne und schniefte. Es war
     eine dumme Angewohnheit von ihr, jede Äußerung mit einem Schniefer zu begleiten.
    Leicht verwundert stand Schwester Fidelma auf und verließ mit der älteren Nonne den Saal. Trotz der gesenkten Köpfe und des
     beflissenen frommen Gesangs verfolgten alle Schwestern neugierig das Zwischenspiel.
    Die Äbtissin Ita von Kildare saß in dem Raum, der ihr als Arbeitszimmer diente, an einem langen Eichentisch. Ihr Gesichtsausdruck
     war gefasst und entschlossen. Sie war eine immer noch gutaussehende Frau in den Fünfzigern, gebieterisch, mit bernsteinfarbenen
     Augen, in denen sonst eine verhaltene Fröhlichkeit blitzte. Davon war jetzt in dem flackernden Licht von zwei großen Bienenwachskerzen,
     die das dunkle Gemach spärlich erleuchteten, kaum etwas zu erkennen. Der Duft von Hyazinthen und Narzissen verlieh dem Raum
     eine angenehme Note.
    »Komm herein, Schwester Fidelma. Hattest du eine erfolgreiche Reise nach Tara?«
    »Ja, Ehrwürdige Mutter«, erwiderte das Mädchen und leistete der Aufforderung Folge. Sie wurde gewahr, dass hinter ihr auch
     Schwester Ethne das Zimmer betreten, die Tür von innen geschlossen hatte und mit züchtig verschränkten Armen dort stehen geblieben
     war. Ruhig wartete sie, während die Äbtissin sich zunächst zu sammeln schien, sich dann aber unvermittelt von einem halben
     Dutzend kleiner Steine, die auf dem Tisch lagen, ablenken ließ. Mit einer um Verständnis bittenden Geste |22| stand die Äbtissin auf, sammelte die Steine ein und legte sie in ein Behältnis. Dann wandte sie sich um und nahm mit einem
     verlegenen Lächeln wieder Platz.
    »Steine. Hab sie gesammelt. Aber solch eine Unordnung auf dem Tisch kann ich nicht dulden«, fühlte sie sich bemüßigt zu erklären.
     Sie nagte an den Lippen, wusste nicht, wie beginnen und kam dann ohne Überleitung zur Sache.
    »Warst du im Speisesaal?«
    »Ja. Ich war gerade nach Kildare zurückgekehrt.«
    »Da ist etwas passiert, was für unsere Gemeinschaft besorgniserregend ist. Unser Gast, Sillán aus Kilmantan, ist tot. Unsere
     Apothekenschwester sagt, es sei eine Vergiftung.«
    Schwester Fidelma war bemüht, sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen.
    »Vergiftet? Rein zufällig?«
    »Das wissen wir nicht. Die Apothekenschwester untersucht gerade das Essen im Speisesaal. Deshalb habe ich untersagt, mit der
     Mahlzeit zu beginnen.«
    Schwester Fidelma zog die Stirn in Falten.
    »Muss ich daraus entnehmen, dass dieser Sillán zu essen begonnen hat, ehe du das Dankgebet beendet hattest, Ehrwürdige Mutter?
     Du wirst dich erinnern, dass er

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