Der falsche Apostel
zu sein und ihr die Personen, die sie
zu befragen wünschte, zuzuführen. Im Augenblick war sie emsig bemüht, die Lampen so einzustellen, dass sie mit ihrem beißenden
Qualm nicht den Raum verräucherten.
»Als Erstes werden wir uns die Todesursache von Sillán bestätigen lassen«, verkündete Fidelma, sowie Schwester Ethne mit den
Lampen fertig war. »Geh und bitte die Apothekenschwester zu mir.«
Schwester Poitigéir machte einen nervösen Eindruck. In ihren Bewegungen erinnerte sie Fidelma an einen Kranich; sie hatte
einen watschelnden, sorgsam tastenden Gang und ließ den Kopf, der auf einem verhältnismäßig langen Hals saß, in gewissen Abständen
plötzlich und ruckartig vorschnellen, sodass man Angst hatte, er könnte gänzlich abfallen. Aber Fidelma kannte ihre Mitschwester
seit ihrem Eintritt in die Abtei von Kildare und wusste, dass sich hinter dem unsicheren Auftreten ein wacher und scharfer
Verstand verbarg, wenn es um Botanik und Chemie ging.
»Woran ist Sillán von Kilmatan gestorben?«
Schwester Poitigéir schürzte die Lippen und streckte den Kopf rasch vor und zurück.
»Conium maculatum«
, erklärte sie knapp.
»Giftiger Schierling?«, vergewisserte sich Fidelma und zog die Augenbrauen hoch.
»Krämpfe und Lähmung waren ein untrügliches Zeichen. Er |26| starb noch, während wir ihn aus dem Refektorium trugen. Außerdem …«, sie zögerte.
»Außerdem?«, wiederholte Fidelma.
Schwester Poitigéir biss sich auf die Lippen, fügte sich dann aber in die Situation.
»Mir war zuvor am Nachmittag aufgefallen, dass ein Krug mit zerstoßenen Schierlingsblättern aus der Apotheke verschwunden
war. Heute Vormittag stand er noch an seinem Platz, und zwei Stunden vor der Vesper merkte ich, dass er fehlte. Ich wollte
den Vorfall der Äbtissin nach der Andacht melden.«
»Aus welchem Grund hast du Gift wie Schierling in deiner Apotheke?«
»Fachkundig verabreicht ist er ein gutes Beruhigungs- und Schmerzmittel. Er hilft bei jeder Art von Krämpfen. Wir haben ihn
nicht nur in der Apotheke, wir halten ihn auch als Pflanze in unseren Gärten, und um die kümmere ich mich selbst zusammen
mit Follaman. Wir haben mannigfache Kräuter angebaut. Schierling hilft bei vielen Beschwerden.«
»Kann aber auch töten. Im alten Griechenland zwang man zur Todesstrafe verurteilte Verbrecher davon zu trinken, und bei den
Juden, so heißt es, hat man ihn denen, die gesteinigt wurden, zur Schmerzlinderung gegeben. Ich habe einmal einen Disput miterlebt,
in dem es darum ging, dass man unserem Herrn, als er am Kreuz hing, Essig, Myrrhe und Schierling reichte, um den Schmerz zu
betäuben.«
Schwester Poitigéir begleitete Fidelmas Darlegungen mit dem ihr eigenen raschen, ruckartigen Kopfnicken.
»War das Gift in dem Essen, das für die Abendmahlzeit im Refektorium gedacht war?«, fragte Schwester Fidelma nach einer kurzen
Pause.
»Nein.«
|27| »Du scheinst dir deiner Sache sicher.«
»Bin ich mir auch. Das Gift hat keine sofortige Wirkung. Zudem habe ich die Speisen für das abendliche Mahl im Refektorium
überprüft. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sie vergiftet gewesen wären.«
»Das heißt, du gehst davon aus, dass man Sillán das Gift bereits verabreicht hat, bevor er den Speisesaal betrat?«
»Ja.«
»Könnte er es aus freien Stücken genommen haben?«
»Das weiß ich nicht«, meinte sie achselzuckend. »Ich halte es aber für unwahrscheinlich.«
»Weshalb?«
»Giftigen Schierling zu sich zu nehmen führt zu einem qualvollen Tod. Warum sollte man Schierling trinken und dann zum Abendessen
in den Speisesaal gehen, wenn man weiß, dass einen Todeskrämpfe erwarten?«
Die Überlegung leuchtete Fidelma ein.
»Hast du Silláns Kammer und die Gästequartiere nach dem fehlenden Krug mit den gestoßenen Schierlingsblättern durchsucht?«
Schwester Poitigéir schüttelte nervös den Kopf.
»Das solltest du unverzüglich tun. Gib mir Bescheid, wenn du was findest.«
Als Nächstes ließ Fidelma Follaman kommen. Er war kein Mönch, vielmehr ein Laie, den das Kloster eingestellt hatte, um jemanden
für das Gästehaus zu haben. Jede Bruder- oder Schwesternschaft hielt sich einen
timthirig
oder Bediensteten, dem die Aufsicht des
tech-óired
oblag. Zu Follamans Pflichten gehörte, sich um die Wünsche der männlichen Besucher zu kümmern, Arbeiten zu verrichten, die
für die Nonnen körperlich zu anstrengend waren, und den Schwestern bei der Gartenarbeit zur Hand
Weitere Kostenlose Bücher