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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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abgesprochen. Dass Sie sich bei ihm melden würden.«
    »Und er?«
    »Wartet auf Ihren Anruf. Rita hat auch angerufen, sie sagt, ein Major Tschishow sucht Sie, anscheinend vom FSB.«
    Rita war seine Sekretärin. In der Firma wussten also alle Bescheid. Auch Georgi wusste Bescheid. Nun durfte der FSB mit vollem
     Recht in allen Papieren herumwühlen, die Nase in alle seine Geschäfte stecken.
    Vielleicht haben sie das Ganze ja selber organisiert, extra dafür, dachte Stas abwesend, ließ sich in den weichen Sitz fallen
     und sagte: »Weißt du was, Georgi, die können mich alle mal! Schalt das Telefon aus. Wir fahren zum ›Palace-Hotel‹.«
    »Vielleicht rufen Sie wenigstens Ihre Eltern an?«, fragteGeorgi. »Sie machen sich schließlich Sorgen. Ich würde meine anrufen.«
    »Aber du hast Ihnen doch gesagt, dass ich okay bin?«
    »Hab ich.«
    »Na also. Fahr los.«
    Es war bereits dunkel. Wieder fiel eiskalter Nieselregen. Stas schob die Hand in die Jackentasche und holte zusammen mit der
     Zigarettenschachtel versehentlich ein kleines viereckiges Stück Papier heraus, das er schon unbesehen zusammenknüllen und
     wegwerfen wollte, aber dann interessierte ihn doch, was das war und wie es in seine Tasche gelangt war.
    Es war ein Foto, schwarzweiß, ein Passfoto. Eine hübsche dunkelhaarige Sechzehnjährige sah Stas an. Das Foto konnte die Durchsichtigkeit
     ihrer Haut und das tiefe, dunkle Blau ihrer Augen nicht wiedergeben. Das Mädchen war nicht einfach nur hübsch. Es war von
     umwerfendem, archaischem Reiz. Sie konnte schauen, wie Eva vermutlich Adam angeschaut hatte, als sie ihm den Apfel vom Baum
     der Erkenntnis hinhielt. Sie hatte eine sanfte, tiefe Stimme und die Geschmeidigkeit einer Perserkatze. Das matte, zwanzig
     Jahre alte Foto war vom Zauber des Originals durchdrungen wie von radioaktiver Strahlung. Einige Sekunden lang starrte Stas
     es reglos an.
    »Zieht es? Soll ich das Fenster schließen?«, fragte Georgi, sich umdrehend.
    Der Scheinwerfer an der Tiefgaragenausfahrt durchflutete das Wageninnere mit grellem Licht.
    »Nein«, blaffte Stas und schlug mit der flachen Hand auf das Foto.
    »Wie Sie meinen«, brummte Georgi friedfertig, »aber Sie kommen schließlich aus der Sauna, nicht, dass Sie sich erkälten.«
    Der Wagen fuhr auf die Chaussee. Nun war es darin wiederdunkel. Mit zitternden Händen zerriss Stas das Foto in winzige Schnipsel, klaubte sie zusammen und warf sie zum offenen Fenster
     hinaus. Der Chauffeur vernahm ein seltsames unterdrücktes Stöhnen, sah, wie der nasse Wind etwas Kleines, Weißes davontrug,
     und fragte, ob alles in Ordnung sei.
    »Lass dich nicht ablenken«, erwiderte Stas mit heiserer, fremder Stimme, »die Straße ist nass.«
     
    Wladimir rief den Chauffeur Georgi an. Georgi war sein Mann, er war mit siebenundzwanzig Jahren im Rang eines Hauptmanns bei
     den Sicherheitsorganen ausgeschieden und diente nun bereits seit zwei Jahren dem Sohn des Generals. Der pensionierte General
     hatte absolutes Vertrauen zu ihm, dennoch lieferte Georgi ihm keine umfassenden Informationen über Stas, denn dieser fuhr
     leidenschaftlich gern selbst, besaß drei Autos und nutzte nur selten die Dienste seines Chauffeurs. Der General hoffte, nach
     dem durchgemachten Stress würde sein Sohn es nicht riskieren, sich selbst ans Steuer zu setzen, und seinen Chauffeur anrufen.
     Und hatte recht damit.
    Georgi versicherte ihm, mit Stas sei alles in Ordnung, und meldete, Seine Durchlaucht geruhe sich im Fitnesscenter »Apollo«
     aufzuhalten.
    »Aber ich habe Ihnen nichts gesagt, Genosse General. Stas hat mir verboten, irgendjemandem zu verraten, wo er ist.«
    »Sogar mir?«, fragte Gerassimow spöttisch.
    »Sogar Ihnen.«
    »So ein Mistkerl! Seine Mutter dreht hier durch, er hätte sie wenigstens mal anrufen können. Hat er dir erzählt, was los ist?«
    »Nein. Er hat gegen zwei angerufen. Ich sollte um halb sieben am Fitnesscenter sein und auf dem Parkplatz auf ihn warten.«
    »Weißt du schon, was heute Nacht passiert ist?«
    »Ja.«
    »Und was denkst du?«
    »Ich denke, jemand wollte ihn ermorden lassen, Genosse General.«
    »Trottel«, rief Gerassimow gereizt, »das weiß ich selber. Wer? Warum? Das ist die Frage. Wer und warum? Na schön, Georgi,
     sag ihm, seine Mutter und ich machen uns Sorgen, er soll sofort anrufen.«
    Zu Hause wurde Gerassimow von Untersuchungsführer Tschishow erwartet, einem rundgesichtigen fröhlichen Burschen. Er lachte
     die ganze Zeit leise und rieb sich die

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