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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Maria Petrowna.«
    »Ich weiß, wer Galina ist. Aber warum hat er bei ihr übernachtet? Sie ist doch verheiratet, mit einem Armenier, ihr Kind geht
     schon zur Schule.«
    Der General bemerkte, dass er sein silbernes Zippo-Feuerzeugin der Hand hin und her drehte. Das silberne Gehäuse war matt und schwarz geworden. Er nahm das Feuerzeug selten in die Hand,
     aber das Silber war trotzdem oxidiert.
    »Wladimir, hörst du mir zu?«, fragte seine Frau mit schwacher Stimme. »Warum antwortest du nicht?«
    »Entschuldige. Ich überlege, an wen von unseren Leuten ich mich wenden sollte.«
    »Ja, dieser Tschishow hat mir auch nicht gefallen. Hast du Michail angerufen?«
    »Welchen Michail?«
    »Michail Raiski. Er ist inzwischen schon Oberst, nicht wahr?«
    Natürlich, dachte Gerassimow erstaunt, warum ist mir das nicht gleich eingefallen? Oberst Raiski. Er befasst sich mit Terrorismus.
     Raiski ist ein harter, gerissener Mann, aber er ist mir einiges schuldig. Er hat sieben Jahre unter meiner Leitung gearbeitet.

Fünftes Kapitel
    Schura Tichorezkaja saß am Schminktisch, presste mit den Händen die Wangen zusammen und drückte mit den Fingerspitzen die
     Augenwinkel an die Schläfen. Sie bewegte lautlos die Lippen. Sie sang den neuesten Schlager eines populären Popstars. Auf
     dem Tisch lag das Telefon, und Schura sah es unentwegt an, als könnte sie es mit ihrem Willen zum Klingeln bringen.
    Von dem Anruf hing ihr Leben ab. Schura hörte auf zu singen und nahm vorsichtig das Telefon auf, um zu überprüfen, ob es funktionierte.
     Es funktionierte. Aber es schwieg. Schura betonte mit grauem Eyeliner ihre Wimpern, erst oben, dann unten. Das sah vulgär
     aus, aber toll. Sie warf den Stift beiseite, griff nach dem Lippenstift, maltesich die Lippen umwerfend sexy an, öffnete den Mund leicht, senkte die Lider, schaute von unten herauf mit einem langen Kuhblick
     in den Spiegel und sagte dabei mit verfremdeter Stimme: »Ach, du bists? Hallo.« Dabei fuhr sie sich mit der Zunge über die
     Lippen. Der Lippenstift war widerlich süß und fettig. Schura verzog das Gesicht. Die Fratze im Spiegel belustigte sie dermaßen,
     dass sie lachte, erst einfach so, dann mit zurückgeworfenem Kopf und gebleckten Zähnen, wie in einer Zahnpastareklame.
    Schließlich hatte sie genug davon. Sie sah auf die Uhr, dann auf das stumme Telefon und begann bitterlich zu schluchzen. Weinend
     schaute sie weiter in den Spiegel, und vor Selbstmitleid bekam sie einen regelrechten hysterischen Anfall. In diesem Augenblick
     war sie ernsthaft des Lebens überdrüssig, in ihrer Seele tobte eine dumme kleine Apokalypse, tosten Ozeane, hundert Meter
     hohe Tsunamis verschlangen ganze Städte, Vulkane spuckten feurige Lava, ganze Länder verschwanden vom Antlitz der Erde; über
     den rauchenden Trümmern stand eine feuerrote runde Wolke, und darin eingeschlossen, wie eine Fliege in Bernstein, ruhte das
     Telefon.
    Als Schura sich ausgeheult hatte, ging sie ins Bad, wusch und kämmte sich, schnitt vorm Spiegel ein paar Grimassen, sah auf
     die Uhr und stöhnte. Es war neun Uhr abends. Am nächsten Tag stand die Quartalskontrollarbeit in Physik bevor, und sie hatte
     noch nicht einmal angefangen mit dem Lernen. Sie rannte zurück ins Zimmer, schnappte sich den Rucksack, wühlte in ihren Heften
     und konnte das Wichtigste nicht finden – die Liste der Themen und Fragen für die Physikarbeit. Ihr blieb nichts anderes übrig,
     als jemanden aus ihrer Klasse anzurufen und sich die Liste diktieren zu lassen. Ohne nachzudenken, wählte sie die erste Nummer,
     die sie auswendig kannte, und vernahm eine brüchige Jungenstimme.
    »Hallo, Andrjuscha, hör mal, kannst du mir die Fragen für die Physikarbeit diktieren?«
    Nachdem sie ein paar Seiten vollgeschrieben und den Hörer aufgelegt hatte, fing sie an zu lachen. Sie lachte so lange, bis
     ihr die Tränen kamen und sie sich verschluckte. Es war nämlich so: Auf den Anruf eben dieses Jungen, ihres Klassenkameraden
     Andrjuscha Litwinow, hatte sie gewartet. Sie war beinahe durchgedreht und hatte nicht mehr leben wollen, denn wenn er nicht
     anrief, hieß das, er liebte sie nicht mehr und ihr Leben war zu Ende. In diesem Sturm der Emotionen war ihr ganz entfallen,
     dass heute Dienstag war, und dienstags und freitags war Andrjuscha bis halb neun beim Schwimmtraining und kam erst um neun
     nach Hause.
    Nicht, dass Schura ernsthaft in Andrjuscha verliebt war. Es schmeichelte ihr einfach, dass sie ihm gefiel. Wenn er bei

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