Der falsche Engel
sie seit drei Jahren, seit man eines Abends ihren Mann im Hausflur erschossen hatte. Er hatte sich
als Geschäftsmann versucht und in einer zweifelhaften Bank einen hohen Kredit aufgenommen; als klar war, dass er die Schulden
nicht würde zurückzahlen können, wurde er getötet, als Lehre für andere.
Kinder hatte Marina nicht, sie lebte allein in einer kleinen Zweizimmerwohnung und schlug sich mehr schlecht als recht durch
– mit privaten Näharbeiten, Putzen, dem Verteilen von Werbezetteln in der Metro.
Galina schwatzte ununterbrochen, kochte Kaffee und holte phantastische Delikatessen aus dem Kühlschrank – ein Glas roten Kaviar,
Plastikpackungen mit Lachs- und Störscheiben, französische Leberpastete und spanische Räucherwurst.
»Das hat Stas mitgebracht. Er frühstückt gern gut, aber heute ist daraus nichts geworden, wie du siehst.«
Marina strich sich Butter und Kaviar auf eine Brötchenhälfte, biss ab und kaute langsam, mit geschlossenen Augen.
»Der Untersuchungsführer hat behauptet, man würde wieder versuchen, ihn umzubringen, irgendwer hat seine Ermordung in Auftrag
gegeben.« Galina schenkte Kaffee ein und setzte sich an den Tisch. »So was kann man doch einemMenschen nicht sagen. Warum ihn erschrecken? Vielleicht war das Ganze überhaupt ein Irrtum, vielleicht haben die Banditen
ihn mit jemandem verwechselt.«
»Was denkt er selber denn?«, fragte Marina und nahm einen Schluck Kaffee.
»Er hat einen Schock. Stell dir doch bloß mal vor: Du siehst mit eigenen Augen, wie jemand an deinem Auto einen Sprengsatz
anbringt!« Galina trennte sich mit der Gabel ein winziges Stückchen Lachs ab und schob es zerstreut in den Mund. »Ich meine,
das Ganze ist überhaupt sehr seltsam. Als dein Kolja umgebracht wurde, da gab es doch vorher Drohungen, Anrufe, man hat verlangt,
ihr sollt eure Wohnung verkaufen, und erst als er sich weigerte, wurde er umgebracht. Und hier – nichts dergleichen, keine
Drohungen, keine Warnungen. Stas ist ein Goldstück, er kann einfach keine Feinde haben.«
»Na ja, also Feinde hat jeder«, widersprach Marina. »Besonders, wenn er jeden Tag so frühstückt.«
»Was hat denn das damit zu tun?« Galina hob erstaunt die dünnen hellen Brauen.
»Ach, nur so.« Marina machte sich rasch ein zweites Kaviarbrötchen. »Gut, weiter. Wonach hat der Untersuchungsführer gefragt?«
»Ach, ich weiß nicht. Es ist alles wie im Nebel. Ich glaube, er hat gefragt, wer wusste, dass Stas bei mir übernachten wird.«
»Und – wer hat es gewusst?«
»Keiner.« Galina schüttelte energisch den Kopf. »Keine Menschenseele. Er hat um zehn aus dem Auto angerufen. Er hat zu niemandem
ein Wort davon gesagt, und ich auch nicht. Ach, rat mir lieber, was ich mit Ruben machen soll!«
»Tja, Galja, ich weiß auch nicht.« Marina seufzte bekümmert und leckte Kaviarreste vom Messer. »Diesmal wirst dudich wohl kaum rausreden können. Du wirst die Wahrheit sagen müssen. He, gib mir mal ’ne Zigarette.«
»Aber wie denn … Das verzeiht mir Ruben nie. Das bedeutet Scheidung. Und Andrjuscha? Er liebt seinen Vater abgöttisch. Und
die Wohnung?« Sie winkte resigniert ab. »Nein, Scheidung kommt nicht in Frage. Aber er wird danach nicht mehr mit mir leben
wollen. Ein anderer würde das verzeihen, aber mein Ruben – niemals!«
Sie stand auf und lief in der kleinen Küche hin und her.
»Nein, Marina, gestehen geht nicht, ich hab in einer Zeitschrift einen Artikel über Ehebruch von einem Psychologen gelesen.
Man darf das auf keinen Fall eingestehen, man muss es kategorisch leugnen.«
»Na, wenn du selber so gut durchsiehst, warum fragst du mich dann? He, krieg ich nun endlich eine Zigarette?«
»Da!« Galina zündete sich eine Zigarette an und warf Schachtel und Feuerzeug auf den Tisch. »Nein, mal ehrlich, hättest du
es deinem Kolja gesagt?«
»Ich hab meinen Kolja nicht betrogen«, sagte Marina knapp und zog gierig an ihrer Zigarette, »ich wollte niemanden außer Kolja.
Ich habe ihn geliebt. Und wenn dein Goldstück Stas ihn nicht vor vier Jahren in diese abenteuerliche Geschichte reingezogen
hätte, dann würde er noch leben.«
»Na pri-ma!« Galina blieb mitten in der Küche stehen und hob empört die Arme. »Was hat denn Stas damit zu tun? Er hat deinem
Kolja nur angeboten, sich an einem aussichtsreichen Unternehmen zu beteiligen, er wollte ihm eine Chance geben, ich meine,
ich verstehe natürlich nichts von Business, aber ich kenne Stas seit unserer
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