Der Falsche Krieg
Entwicklungstheorie entstammt. Wir finden auch eine Logik wieder, die für viele kommunistische Regime typisch war: Junge Aktivisten aus den Städten - und aus dem Bürgertum - gehen aufs Land und klären die Alten und die Bauern über Befreiung und die neue Welt auf. Dahinter steht die Idee, dass man eine Demokratie per Fertigbausatz aus dem Nichts errichten kann: Wenn man die Ideologie beiseite lässt, erscheint der »andere« als eine Masse, die beliebig geformt werden kann.
Die Demokratisierung ist auch ein Markt
Die Philosophie der Zivilgesellschaft ist zur Doktrin der Nichtregierungsorganisationen geworden, die sich auf politische Entwicklung und Demokratisierung spezialisiert haben. Der Grund dafür ist nicht so sehr in den Überzeugungen ihrer Mitglieder zu finden, sondern vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie den Gesetzen des Marktes gehorchen: Abgesehen von Nahrungsmittel-
und medizinischer Hilfe kommt das Geld für humanitäre Projekte heute vorwiegend aus Mitteln, die (wie schon vor dem GMO) vom amerikanischen Kongress bewilligt oder von Brüssel zur Verfügung gestellt werden. Nur diejenigen Nichtregierungsorganisationen, die Entwicklungshilfe im Sinne der »Demokratisierung« der Gesellschaft leisten, haben Zugang zu den Geldern. Darum entfaltet sich in diesem Bereich eine erhebliche Dynamik, ein bestimmtes politisches Denken zu verbreiten, welche viel wirksamer ist als die ganze Propaganda im Anschluss an den 11. September (wie sie etwa »Voice of Amerika« leistet, für die die Abteilung »Public Diplomacy« im Außenministerium zuständig ist; oder Maßnahmen wie die Einrichtung der Radiostationen »Sawa« und »Farda«, die in Arabisch und Persisch senden, ebenso wie dem arabischen Fernsehsender »Tele Hurra« als einem Gegengewicht zu »Al Dschasira«).
Der Großraum Mittlerer Osten schafft einen Binnenmarkt in den Ländern, um die es dabei geht. Das Programm zur Förderung der Zivilgesellschaft hat negative Auswirkungen, die noch wenig untersucht sind. Aber was wir in Zentralasien beobachten konnten, trifft auch auf den Mittleren Osten zu. 10
Oft ist die »Zivilgesellschaft« eine künstliche Konstruktion mit wenig, wenn nicht gar negativem Einfluss auf die reale Gesellschaft. Die Zivilgesellschaft ist in erster Linie ein Markt: Die eingesetzten Gelder destabilisieren das Gleichgewicht zwischen den Mikromilieus (wovon vor allem die Universitäten betroffen sind),
weil sie ohne staatliche Vermittlung direkt auf den Markt fließen. Das erzeugt einen internen brain-drain, ein »intellektuelles Ausbluten«. Die Universitätsangehörigen und die cleversten Unternehmer machen bei dem Programm mit. Wenn ein zweisprachiger Fahrer in Afghanistan oder Tadschikistan das Zwanzigfache dessen verdient, was ein Universitätsprofessor bekommt, verlassen die klügsten Köpfe die Universität und werden Fahrer. In Ägypten kann ein Universitätsprofessor durch die Beteiligung an einem »Demokratisierungs«-Programm sein Gehalt verdoppeln oder verdreifachen: Er schreibt Berichte, reist umher und besucht Konferenzen, was den Neid seiner Kollegen weckt, die weniger beschlagen im Englischen oder in der Kunst des Abfassens von Berichten sind. Die Akteure der Zivilgesellschaft werden geächtet von Kollegen, die weniger Glück hatten und schließlich autoritäre Regierungen unterstützen - das erklärt, warum es im Jahr 2000, als Saad Eddin Ibrahim in Kairo zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, weil er Gelder aus Washington angenommen hatte, in intellektuellen Kreisen, die ansonsten dem Regime durchaus kritisch gegenüberstehen, praktisch keinen Protest gab. Gleichzeitig verlassen demokratische Intellektuelle die Universitäten, da sie dank der Demokratisierungsprogramme anderswo mehr Geld verdienen können. Die Zivilgesellschaft wird zu einer Art künstlichem Schutzgebiet für eine vom Aussterben bedrohte Spezies: den demokratischen Intellektuellen, der von internationalen Institutionen wie »Amnesty«, »Reporter ohne Grenzen«, dem amerikanischen Außenministerium
und so weiter unter die Fittiche genommen wird. Viele verlassen im Laufe der Zeit ihr Land und arbeiten in eben diesen Organisationen mit.
Und schließlich hat die Politik der Privatisierung negative Effekte: Während der Amtszeit der zivilen Übergangsverwaltung im Irak unter Paul Bremer (2003 bis 2004) waren die ins Bildungsministerium entsandten amerikanischen Berater Experten für die Privatisierung der Universitäten, was den Zerfall der
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