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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Roy
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teilten. Entlang dieser Illusion stößt das Projekt Großraum Mittlerer Osten an seine klarsten Grenzen. Für die Palästinenser besteht dabei das Problem darin, dass die Aufforderung, demokratisch zu werden, mit einem wachsenden territorialen Druck der Israelis einhergeht (Mauer, Kontrollposten auf den Straßen, Annektierung von Ostjerusalem, Siedlungsbau im Westjordanland) sowie mit einer Politik der Gewalt (Kommandounternehmen, Festnahmen, gezielte Tötungen), obwohl es Fälle eines Rückzugs gibt (zum Beispiel aus Gaza). Andererseits tun Israelis, Amerikaner und Europäer alles, um de facto , wenn schon nicht de jure , die Ergebnisse der palästinensischen Wahlen im Jahr 2006 ungültig zu machen, bei denen die Hamas siegte. Ohne in das kleinliche Rechten darüber zu verfallen, wer angefangen hat und wer für das Scheitern von Oslo verantwortlich ist (denn offensichtlich tragen die Palästinenser und vor allem ihre politischen Führer eine schwere Verantwortung), erscheint die Aufforderung der Bush-Administration, erst müssten Demokratisierung und Reform sich durchsetzen, bevor politische Forderungen gestellt werden könnten, als Versuch, der territorialen Frage und damit der nationalen Frage auszuweichen.
    Die Position von Ayatollah Sistani, dem geistlichen
Oberhaupt der irakischen Schiiten, der die Wahlen unterstützt und auf einen frühen Termin gedrängt hat, zeigt exemplarisch die Schwäche des Großraumprojekts im Mittleren Osten: Ja zur Demokratie, aber zugleich sollen die Nation und der Islam verteidigt werden. Doch Ayatollah Sistani schweigt, seit der Irak immer mehr in den Bürgerkrieg abgleitet.
     
    Schließlich fehlen der Politik der Demokratisierung noch die geeigneten Werkzeuge und Schaltstellen. Natürlich hat der amerikanische diplomatische Apparat an der Verbreitung der Demokratie gearbeitet, Treffen mit Oppositionellen arrangiert, Einladungen und Konferenzen organisiert, sich um den Schutz der Menschenrechte bemüht, aber auch da springen die Widersprüche ins Auge. So fand beispielsweise im April 2005 an der Universität Berkeley eine Konferenz über »Islam und Demokratie« statt, zu der die Organisatoren (darunter auch ich) unter anderem Nadia Yacine, die Tochter des Chefs der marokkanischen islamistischen Organisation »Al Adl wal Ihsan«, und Tariq Ramadan eingeladen hatten. Nadia Yacine erhielt problemlos ihr Visum und eine Sonderbehandlung durch die amerikanische Botschaft in Rabat, was der Botschafterin den Zorn des Palastes einbrachte. Tariq Ramadan hingegen wurde das Visum verweigert mit Hinweis auf den Kampf gegen den Terrorismus. Ohne hier die Positionen der beiden Personen im Einzelnen zu analysieren, ist offensichtlich, dass eine willkürliche, künstliche Unterscheidung vorgenommen wurde: Nadia Yacine wurde nach
dem Stichwort »Demokratisierung« behandelt, Tariq Ramadan nach dem Stichwort »Kampf gegen den Terrorismus«. Und das ist keineswegs ein Einzelfall: Der Kampf gegen den Terrorismus, der bürokratisch und mit polizeilichen Mitteln geführt wird, gerät in Widerspruch zur Politik der Demokratisierung und des Respekts der Menschenrechte, ohne dass er deshalb an Effizienz gewinnen würde, wie das Beispiel des Gefangenenlagers in Guantanamo zeigt.
    Der gleiche Widerspruch findet sich im Verhalten der Streitkräfte vor Ort, die außerhalb jedes politischen Rahmens der Demokratisierung operieren. In Afghanistan beispielsweise setzt die Armee auf die lokalen Kriegsherren, während die Botschaft politische Parteien zu installieren versucht. Im Irak feuert die Armee am 28. April 2003 auf Demonstranten in Falludscha, weil sie nicht Staatsbürger vor sich sieht, die man soeben befreit hat, sondern Feinde. Mit einer einzigen Aktion bricht ein unüberwindlicher Graben zwischen Sunniten und Amerikanern auf, und der Vorfall markiert den Beginn des bewaffneten Widerstandes. Die Hypertrophie und die Bürokratisierung des Militärs in den Vereinigten Staaten haben eine ganze Reihe negativer Effekte: die Unfähigkeit der amerikanischen Streitkräfte, einen politischen Krieg zu führen, dessen Ziel nicht die Vernichtung des Feindes ist, sondern der politische Wiederaufbau eines Landes; Kampfmethoden, die für einen Krieg von geringer Intensität ungeeignet sind, ebenso wie unpassendes Material und eine nicht adäquate Ausbildung der Armee; die Unfähigkeit, legitime politische
Vermittlungsinstanzen in den Gesellschaften zu finden, in denen sich stattdessen die Armee ausbreitet.
    Häufig

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