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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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aus politischen und weniger aus religiösen Gründen ab. Für die Wahhabiten und die Salafisten hingegen ist der Schiismus eine Häresie, und der Kampf gegen die iranische Revolution wird damit zu einer religiösen Pflicht. Letzten Endes wird der Antischiismus durch Einflüsse aus Pakistan noch wachsen, wo Parteien wie »Sepah-i Saheban« explizit den Kampf gegen den Schiismus betreiben.
Die iranische Revolution zwischen islamischem Universalismus und schiitischen Gemeinschaften
    Die islamische Revolution im Iran wollte nie »schiitisch« sein, sie hat sich immer als Avantgarde der Umma aller Muslime verstanden. Aber die religiösen Netzwerke, die sie im Iran getragen haben und ihrem Export ins Ausland dienten, waren im Kern schiitisch. Und auch ihre Ideologie - der Millenarismus, die Rolle des Imams, das Konzept von vilayat-i fâqih oder »die Herrschaft des Rechtsgelehrten« - ist durch und durch schiitisch. Die Ambivalenz findet ihren Niederschlag in der Verfassung des islamischen Iran, die den Zwölfer-Schiismus 4 zur offiziellen Religion des Iran erklärt, aber den Revolutionsführer zum Führer der gesamten Umma unabhängig von den religiösen Schulen erhebt. Der Schiismus wird damit implizit als die vollkommenste Form des Islam dargestellt, was natürlich viele
Sunniten verletzt einschließlich jener, die die Revolution begrüßt haben. Diese hat zuerst bei den schiitischen Bevölkerungsgruppen Wirkung entfaltet, obwohl sie dort keineswegs uneingeschränkt Zustimmung fand. Auch unter den Religionsführern haben angesehene schiitische Vertreter (Khu’y im Irak, Shamsuddin im Libanon) das Konzept von vilayat-i fâqih abgelehnt, während andere zwar die islamische Revolution unterstützt haben, aber nicht die Nachfolger Khomeinis als spirituelle Führer anerkannten, so etwa Fadlallah im Libanon.
    In allen Fällen hat die islamische Revolution zu einer Neuordnung und Radikalisierung der nicht-iranischen schiitischen Bevölkerungsgruppen geführt. Der Gegensatz zwischen Schia und Sunna wurde durch sie nicht wirklich überwunden, sondern eher noch verstärkt. Die Revolution hat dem Schiismus eine neue, universalistische und radikale Dimension gegeben und jede strukturelle Allianz mit den großen sunnitischislamistischen Bewegungen (wie den Muslimbrüdern, die eine solche Allianz gar nicht unbedingt wollten) zurückgewiesen. Damit hat sie den Konflikt zwischen den beiden Schulen neu angefacht, ungeachtet der Tatsache, dass der Konflikt natürlich mehr von den politischen und religiösen Führern instrumentalisiert wurde, als dass er sich spontan bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen manifestierte. Es ist daher paradox, dass der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten in der muslimischen Welt anscheinend verblasste, nachdem in der Fatwa der Ashar-Universität aus dem Jahr 1959 die Schia neben den vier großen sunnitischen Schulen als
fünfte Rechtsschule des Islam anerkannt worden war, zugleich aber die Konfrontation beider Gruppierungen eine Verschärfung erfuhr, die in zahlreichen Ländern (allen voran Pakistan, aber auch im Libanon, in Afghanistan und dann im Irak) zu bewaffneten Zusammenstößen führte.

Ein tektonisches Beben: Schiiten kontra Sunniten
Eine alte Geschichte oder ein neues Schisma?
    Der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten ist kein uralter Konflikt um die Kontrolle des Mittleren Ostens und der muslimischen Welt. Gewiss war die ursprüngliche Spaltung in den Anfängen des Islam - nach dem Tod des vierten Kalifen und Nachfolgers des Propheten (Ali) - primär politischer und nicht religiöser Natur: Muss der Nachfolger des Propheten von ihm abstammen beziehungsweise von seinem Schwiegersohn Ali (die Position der Schiiten), oder soll er von der Gemeinschaft gewählt werden (die Position der Sunniten)?
    Zu Beginn, das heißt beim Tod des Propheten, waren definitionsgemäß alle Araber, und es gab den Konflikt zwischen Arabern und Persern noch nicht. Die Schiiten verloren gleich am Anfang in der Schlacht von Kerbela im Jahr 680, deren Gedenktag, das Aschura-Fest, der große Höhepunkt im religiösen Leben der Schiiten ist. Die Niederlage war total. In der Folgezeit
zogen sich die in der Minderheit befindlichen Schiiten auf eine Eschatologie des Wartens auf die Rückkehr des zwölften Imams zurück, die sie vom aktiven politischen Leben wegführte. Natürlich waren einige Dynastien, sowohl arabische als auch persische, schiitisch oder gehörten wie die Fatimiden in Ägypten und die Saiditen im
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