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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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Entferntesten an »Marxismus« erinnern könnte. Umgekehrt erklärt das die große Zurückhaltung der arabischen Nationalisten, dem afghanischen Widerstand Hilfe gegen die Sowjets zu leisten, zumal die Sowjets auch als Verbündete im Kampf gegen den amerikanischen »Imperialismus« und den Zionismus wahrgenommen wurden.
    Aber die Saudis blieben den Muslimbrüdern gegenüber misstrauisch, die sich allzu unabhängig verhielten und ihrerseits Kritik an der saudischen Monarchie übten. Sie entwickelten ihre eigenen panislamistischen Netze, die wahhabitischen Kreisen näherstanden, etwa 1962 mit der Schaffung der Islamischen Weltliga (Rabita Al ‘Alam Al Islam), deren Positionen weniger politisch, dafür umso stärker panislamistisch und auch panarabisch sind. Das passt zu dem, was ich Neofundamentalismus genannt habe: sich nicht um den Staat kümmern und alles auf die Scharia konzentrieren. Viele Muslimbrüder im Exil fanden eine Beschäftigung im Umkreis der Rabita.
    Der Sieg der iranischen Revolution 1979 stellte für die Saudis eine neue, direkte Bedrohung dar. Die Saudis waren proamerikanisch, »royalistisch«, als Wahhabiten erbittert antischiitisch gesinnt und stellten damit für Khomeini das Haupthindernis für die Ausbreitung der islamischen Revolution in der arabischen Welt dar. Denn anders als Saddam Hussein beanspruchten sie religiöse
Legitimität (die Kontrolle über die heiligen Stätten). Kurz nach der Revolution im Iran ließ sich der saudische König zum »Hüter der beiden Heiligtümer« erklären und reagierte damit auf die Behauptung des Iran, im Islam gebe es keinen König. Seither haben die Saudis drei Feinde: den arabischen Nationalismus, den Kommunismus und den iranischen Schiismus. Die Mobilisierung ihres neofundamentalistischen Umfelds hat eine antiiranische und somit eine antischiitische Stoßrichtung.
    Paradoxerweise hat der Aufbau solcher Netzwerke konkrete Auswirkungen auf die Feinde Israels, die so genannte »Ablehnungsfront«. Die Saudis lieben Israel natürlich nicht, doch sie haben kein echtes Konfliktthema mit dem jüdischen Staat. Gleichzeitig müssen sie eine antizionistische Rhetorik an den Tag legen, wenn sie glaubwürdig bleiben wollen, denn viele ihrer Gefolgsleute sind erbitterte Gegner Israels.
     
    Das salafistische Umfeld absorbiert einen Teil der Muslimbrüder. Es bilden sich »Joint Ventures« wie Anfang der achtziger Jahre bei der Entsendung von Freiwilligen nach Afghanistan. Der Weg von Abdullah Azzam, einem Vorläufer von Al Qaida, verdeutlicht den Punkt, an dem es zum Bruch kam: Abdullah Azzam war palästinensischer Muslimbruder, überwarf sich mit Jassir Arafats PLO und ihrem Nationalismus, rückte vom Panarabismus, selbst in seiner islamisierten Form, ab und propagierte die Unterstützung des afghanischen Widerstands, der für ihn die wahre Umma aller Muslime
verkörperte, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit und Rasse. Gemäß einer solchen Sichtweise ist Palästina nur ein Dschihad neben anderen und steht auf einer Stufe mit Afghanistan, Tschetschenien und Kaschmir. Eine weitere Richtung fördert bewusst das Abgleiten in den militanten, internationalistischen »Dschihadismus«: Sie beruft sich auf Said Qutb, einen Muslimbruder, der Ende der fünfziger Jahre eine viel härtere Linie vertrat als die Bruderschaft und der zum Vordenker einer radikalen Gruppierung der dschihadistischen Bewegung wurde, die über die Muslimbrüder hinausreicht.
    Diese Gruppierung machte sich von Saudi-Arabien unabhängig. Außerdem strebte sie ausgehend von ihrer afghanischen Erfahrung einen internationaleren Horizont an. Sie kooperierte mit radikalen Bewegungen in Pakistan, Malaysia, Indonesien und Zentralasien sowie mit jungen Muslimen der zweiten Generation aus Europa, zu denen noch Konvertiten aller möglichen Richtungen hinzukamen: Alle trafen sich in Afghanistan. Der Panarabismus wurde zugunsten eines globalisierten Panislamismus überwunden. Das erklärt, warum diese Gruppierung in der Lage war, sich zu organisieren und auch in nicht-arabischen Kreisen Fuß zu fassen, vor allem in Pakistan und in den Zentren der muslimischen Einwanderung in Europa.
    Zu dem Dschihadismus, der für diese salafistische sunnitische Richtung charakteristisch ist, kommt noch ein erbitterter Antischiismus hinzu. Wie wir gesehen haben, waren die Muslimbrüder nicht dem Wesen nach
antischiitisch, sie betrachteten den Schiismus eher als eine fünfte Rechtsschule des Islam. Khomeini lehnten sie vor allem
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