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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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auf einer dritten Ebene, ist die Hisbollah Teil einer schiitischen Achse im Mittleren Osten, zusammen mit Syrien und dem Iran.
    Ein besonderer Fall sind die Alewiten in Syrien. Bei ihnen handelt es sich um eine ländliche, gering geachtete açabiyya (Solidaritätsgruppe), die Instrumente der Modernisierung wie momentan zum Beispiel die Militärakademie nutzt, um in eine Position der Stärke zu gelangen und das Land gegen die sunnitische Mehrheit in ihre Gewalt zu bringen. Die Sunniten wiederum setzen als Reaktion darauf vermehrt auf den konfessionellen Faktor, zumal die einzige politische Opposition die Muslimbrüder sind. Darum werden die Alewiten im Bemühen um Unterstützung von außen und um religiöse Legitimität den mit ihrer Gruppe verbundenen Charakter einer häretischen Sekte verwischen und sich zumindest zum Teil als Schiiten positionieren, sowohl in religiöser Hinsicht (Bemühen um Fatwas von libanesischen und iranischen Imamen, die ihnen bestätigen, dass sie orthodoxe Muslime sind) wie unter geostrategischen Gesichtspunkten (Allianz mit dem islamischen Iran und der libanesischen Hisbollah).
    Nicht alle schiitischen Gruppen gehen in ihrer Annäherung an den Iran ähnlich weit: Die irakische Dawa-Partei versteht sich primär als nationalistische irakische Organisation. Die meisten einfachen irakischen Schiiten blieben während des Kriegs mit dem Iran
Saddam Hussein gegenüber loyal, während die geistlichen Führer in den Iran flohen. Die Schiiten aus Arabien und den Golfstaaten blickten in den achtziger Jahren fasziniert auf die iranische Revolution und bemühten sich dann darum, als Akteure auf der internationalen Bühne anerkannt zu werden; tatsächlich erreichten sie eine Verbesserung ihrer Lage.
    Und nicht zuletzt sind die transnationalen klerikalen Netzwerke der Schiiten uneins bezüglich der Frage, welche Bedeutung der Transnationalismus überhaupt haben soll: Ist er primär religiöser oder primär politischer Natur? Der libanesische Scheich Fadlallah bekundet politische Unterstützung für die islamische Revolution im Iran, weigert sich aber, das vilayat des gegenwärtigen Revolutionsführers Ayatollah Khamenei anzuerkennen. Der geistige Führer der irakischen Schiiten, Sistani, will dem Schiismus an sich keine politische Dimension zusprechen und lehnt es ab, der islamischen Revolution zu folgen. Vielen Schiiten bietet sich somit die Möglichkeit, den transnationalen Charakter ihrer schiitischen religiösen Identität ebenso wie ihre nationale politische Identität zu bekunden. Das gilt zum Beispiel für die »Shirazis« (die Schüler des iranischen Ayatollah Shirazi) in Bahrain und Kuwait. 5
     
    Das schiitische Erwachen und dessen Instrumentalisierung durch den Iran haben bei den Sunniten heftige Reaktionen ausgelöst, die erstmals in Pakistan sichtbar wurden und sich dann über die gesamte muslimische Welt verbreiteten. In den achtziger Jahren unternahm
eine Reihe radikaler Gruppen, die bekannteste ist Sepah-i Saheban 6 , systematisch Angriffe auf Moscheen und schiitische Persönlichkeiten in Pakistan, wobei sie durch den pakistanischen Geheimdienst (ISI) ermutigt wurde. Die Schiiten bildeten ihrerseits bewaffnete Gruppen. Innerhalb weniger Jahre setzte dieser Religionskrieg dem Miteinander von Schiiten und Sunniten ein Ende: Jeder zog sich in sein Viertel zurück, und die Moscheen im südlichen Pandschab verwandelten sich in Bunker. Das Phänomen griff auf fast die gesamte muslimische Welt über, auch wenn es bei den Auseinandersetzungen nicht immer so gewaltsam zuging. Heute gibt es wohl nur noch in Aserbaidschan gemischte Moscheen, in denen Schiiten und Sunniten gemeinsam beten. Wir erleben insofern hinsichtlich der schiitischen und sunnitischen Identität eine Entwicklung, die in erster Linie von lokalen und gemeinschaftlichen Werten getragen ist und sich auf einer quasi ethnischen Basis vollzieht, so dass Identität nicht mehr durch rein religiöse Faktoren bestimmt ist. Die Situation erinnert an Nordirland, wo Protestanten und Katholiken in gewisser Weise ethnische Gemeinschaften repräsentieren, und nicht zwei Religionen.
    Kommunitarisierung und Territorialisierung werden oft begleitet von ethnischen Säuberungen und der Gründung von Milizen zur Selbstverteidigung, die ihrerseits andere Gruppen überfallen und drangsalieren. Unabhängig von der politischen oder ideologischen Einkleidung ist die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten in den zwanzig Jahren zwischen 1984 und 2004
zu
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