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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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politische Vision des Panarabismus besteht fort: Er beruht auf einer starken affektiven Besetzung ohne konkrete politische Verankerung. Die panislamistischen Bewegungen bieten sich als Alternative an, teils wollen sie den Panarabismus fortsetzen, wie die Muslimbrüder, teils suchen sie den Bruch mit ihm, wie die iranische Revolution und Al Qaida.
Der sunnitische Panislamismus: von den Muslimbrüdern zu den Salafisten
    Der sunnitische Panislamismus hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Verschiebung durchgemacht. Zunächst verkörperten ihn die Muslimbrüder. Aber im Grunde definiert er sich über die Islamisierung des Panarabismus, dessen wichtigste Ziele er übernommen hat (Ablehnung des westlichen Neokolonialismus, Feindschaft gegenüber Israel, Einigung der arabischen Welt). Folgt man dieser Sichtweise, dann ist der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten ganz und gar zweitrangig, genau wie die Spaltung des Sunnismus in große Rechtsschulen.
    Seit den achtziger Jahren hat sich jedoch ausgehend von Saudi-Arabien und Pakistan eine neue Richtung entwickelt, der Salafismus. Diese Richtung ist vor allem vehement antischiitisch und antikommunistisch und seit dem Zerfall der Sowjetunion auch antiwestlich.
Sie ist primär panislamistisch und nicht panarabisch: Kaschmir und Afghanistan sind genauso wichtig wie Palästina. Schließlich zählt für sie in erster Linie die Scharia und nicht der Aufbau islamischer Institutionen. Heute kommt dieser Bewegung eine Vorreiterrolle zu: Sie hat einen Teil der Anhängerschaft der Muslimbrüder absorbiert, auch wenn deren Organisation auf nationaler Ebene in Ägypten, Jordanien, Palästina und Kuwait fortbesteht.
    Die Muslimbrüder sind Teil der panarabischen Kartographie. Sie sind Araber und Sunniten. Bei einer Reihe von nationalistischen Bewegungen waren sie dabei, so kamen viele der freien Offiziere um Nasser, beispielsweise Anwar al-Sadat, aus dem Umfeld der Muslimbrüder. Aber dann bildeten sich rasch Konkurrenzverhältnisse auf diesem Gebiet. Die Muslimbrüder wurden in allen Republiken unterdrückt und konnten nur in den arabischen Königreichen und Emiraten legal agieren. Doch die Lage ist differenziert und facettenreich. In Syrien war der Kampf zwischen den Regierenden und den Muslimbrüdern umso blutiger, als er die Form eines auf kommunitärer Ebene ausgelebten Konflikts zwischen Sunniten und Alewiten annahm; die Muslimbrüder wurden durch Massaker dezimiert (Hama 1982), es gab Massenverhaftungen, und viele flüchteten ins Exil. Ganz anders das Regime in Ägypten: Dort genossen die Muslimbrüder zwar keine Anerkennung als politische Bewegung, und phasenweise wurden sie auch unterdrückt, natürlich vor allem während der Herrschaft von Nasser, aber ein gewisser
Handlungsspielraum blieb ihnen erhalten. Sie konnten ihre Aktivitäten fortsetzen und von Zeit zu Zeit unter wechselnden Bezeichnungen bei Wahlen antreten. In Saudi-Arabien gibt es eine Vereinbarung zwischen der Monarchie und den Muslimbrüdern, die es Letzteren verbietet, auf saudischem Staatsgebiet eine eigene Organisation zu errichten, wofür ihnen im Gegenzug saudische Unterstützung im Ausland gewährt wird. In Jordanien und in Kuwait sind die Muslimbrüder legal und nehmen an Wahlen teil. In Palästina ist daraus die Hamas hervorgegangen. Im Jemen wurde aus ihnen eine politische Partei (Islah). Nach Nordafrika sind die Muslimbrüder erst spät, in den achtziger Jahren, gekommen.
    In den Jahren zwischen 1950 und 1960 war Radikalismus eine Sache der laizistischen progressiven Bewegungen. Nasser, der in Frankreich während der Suezkrise 1956 als »neuer Hitler« bezeichnet wurde, gerierte sich als Vorkämpfer des Panarabismus und widersetzte sich den Saudis, mit denen er von 1962 bis 1967 einen Stellvertreterkrieg im Jemen führte. Als Reaktion darauf unterstützten die Saudis panislamistische Bewegungen, vor allem um den »progressiven« arabischen Nationalismus aufzuhalten. In den achtziger Jahren betrieben die Israelis in Palästina kurzfristig eine Politik, die den Aufstieg der Hamas förderte. Ebenso begünstigten die aus arabischen nationalistischen Bewegungen hervorgegangenen Diktaturen (Sadat, aber auch Tunesien) eine Zeit lang die Ausbreitung islamistischer Bewegungen an den Universitäten, was zu Lasten
linker Bewegungen ging. Die Unterstützung für die afghanischen Mudschaheddin ist auch als der Wunsch zu verstehen, den Islam gegen alles einzusetzen, was auch nur im
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