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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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man betont, dass man direkt mit der Umma verbunden ist und den Zentralstaat als
Erscheinung des Partikularismus abtut. Der Stamm existiert weiter und greift auf die ganze Welt über, was oft mit wirtschaftlicher Globalisierung einhergeht (Beteiligung am Drogenhandel, an Schmuggel, an Arbeitsmigration). Eineinhalb Millionen Paschtunen aus pakistanischen und afghanischen Stammesgebieten leben in Karatschi, sie beherrschen das Transportwesen. Im Jemen sind es hauptsächlich Angehörige von Stämmen aus dem Norden, die in die Golfstaaten und nach Saudi-Arabien abwandern; die Stämme aus dem Hadramaut haben eine lange Tradition der Emigration nach Großbritannien und Indonesien. Darum wäre es falsch, wenn man die Islamisierung bloß als eine neue Form darstellte, in der ein Irredentismus zum Ausdruck kommt: Der Tribalismus setzt vielmehr auf seine eigene Überwindung.
    Umgekehrt können Stammesgruppen, die nur geringfügig islamisiert sind, umso stärker eine nationalistische Identität entwickeln, wie es bei den Kurden der Fall ist oder bei den pakistanischen Belutschen. Letztere grenzen sich in der Ausbildung ihrer Identität deutlich von den Paschtunen ab, deren expansive Bestrebungen die ethnische Einheit von Belutschistan bedrohen. Die Belutschen sind laizistisch und säkularisiert, haben die traditionelle Stammeshierarchie bewahrt und führen ihren Kampf unter Führung der Sardars, die seit den siebziger Jahren »linke« Allianzen pflegen, etwa mit der Sowjetunion und dem kommunistischen Regime in Kabul. Es gibt darum häufig einen Widerspruch zwischen der »progressiven« Ausrichtung und dem archaischen
Charakter des Stammessystems. Wie wir gesehen haben, sind häufig die islamistischen oder neofundamentalistischen Bewegungen am besten für die Globalisierung gerüstet. Das erklärt, warum der gegenwärtige Konflikt zwischen den Belutschen und dem pakistanischen Staat in den internationalen Medien mit Schweigen übergangen wird, denn er passt nicht zu den vorherrschenden Klischees.
     
    Die gleiche Logik der Globalisierung treibt auch konfessionelle Gruppen dazu, sich durch den Bezug auf einen globalen Sinnzusammenhang zu definieren. Das macht die Ambivalenz der Hisbollah aus, die als Partei der Schiiten im Südlibanon entstanden ist, einer im traditionellen Libanon eher marginalisierten Bevölkerungsgruppe, und im Libanon zunächst als eine politische Partei auftrat, bevor sie sich später der internationalen schiitischen Revolution anschloss.
    Am meisten ist von dieser Problematik der Nahe Osten östlich von Suez betroffen. Im afrikanischen Teil des Großraums Mittlerer Osten (Maghreb, Libyen, Ägypten) fällt das Phänomen weniger ins Gewicht, diese Region ist ziemlich stabil, was die Definition der Nationalstaaten und die ethnischen Gleichgewichte anbelangt. Es gibt zwar einen Grenzkonflikt zwischen Marokko und Algerien, der sich um Westsahara dreht, ein Gebiet, das nach Abzug der Spanier de facto von Marokko annektiert wurde, aber dieser Konflikt spielt keine große Rolle. Die Spannungen im Zusammenhang mit dem Status der Berber in Marokko und vor allem
der Kabylen in Algerien erschüttern den Nationalstaat nicht. Ägypten ist ethnisch homogen, und die Spannungen zwischen Muslimen und Kopten beeinträchtigen die Kopten nicht in ihrem Patriotismus, vielmehr legt Papst Schenuda sogar ägyptischen und arabischen Nationalismus an den Tag. Und der libysche Staatspräsident Gaddafi hat mit seiner Launenhaftigkeit und seinem exzentrischen Gebaren alle großen Projekte zur Umgestaltung der strategischen Landschaft zunichte gemacht, indem er mal auf die panarabische Karte setzte und dann wieder auf die panafrikanische.
    Natürlich spielt die Orientierung an Stämmen und Clans in allen Staaten des Maghreb eine Rolle; es ist bekannt, dass die Konflikte im südlichen Ägypten viel mit lokalen Rachefeldzügen (târ) zu tun haben, auch wenn sie in politischem oder konfessionellem Gewand daherkommen. Aber solch lokaler Tribalismus ist losgelöst von den Auseinandersetzungen zwischen Clans, die die Spitzen des Staates bewegen, und verbleibt deshalb auf einer Ebene unterhalb der Politik, was im eigentlichen Mittleren Osten viel weniger der Fall ist.

Vom Panarabismus bis zu panislamistischen Bewegungen
    Der laizistische Panarabismus eines Nasser oder der Baath-Partei ist gescheitert, weil er von den Regimen instrumentalisiert wurde und nicht in der Lage war, die
Macht der nationalen Identitäten zu überwinden. Aber die
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