Der falsche Mörder
einmal voll mit Dorsch und Schellfisch und anderen schleimigen Tieren war.
Er steht breitbeinig in der Mitte der Bühne. Mit Sicherheit gut Mitte vierzig. Recht dicklich. Mit einem dunklen Zweitagebart an Wangen und Kinn.
Mit konzentriertem, stechendem Blick. Als ob er mich mit seinen dunklen Augen durchleuchten wollte.
»Du meinst doch wohl nicht die da?«, fragt ein anderer Typ, der an einem kleinen Tisch rechts auf der Bühne gegenüber von zwei Mädchen sitzt.
Er ist groß und schlank. Hat schwarze Haare.
»Blonde Schickse in einem schwarzen Lederkostüm. Genau so hat eine Desdemona des einundzwanzigsten Jahrhunderts auszusehen.«
Die Mädchen sind wahrscheinlich um die zwanzig. Eventuell sogar jünger.
Die eine ist blond. Groß wie eine Amazone des antiken Griechenlands.
Klug. Sexy.
Und weiß es auch.
Die andere hat schönes dunkelrotes Haar, das bis zum unteren Rücken reicht.
Sie ist auch schlank. Aber zurückhaltender.
»Komm mal hierher!«, fährt der Langhaarige fort und weist mich auf die Treppe hin, die auf der linken Seite zur Bühne hochführt.
Er hat was, der Typ. Obwohl sein Aussehen mich überhaupt nicht anspricht.
Ich stehe eher auf Jüngere.
»Stopp!«, ruft er, als ich die Treppe hochgestiegen bin, und taxiert mich weiterhin mit seinen Blicken. »Ja, genau so soll sie sein.«
»Bist du auf einmal mit Blindheit geschlagen, Matti?«
»Was soll das, Baldur, siehst du nicht, was ich sehe? Wenn der Meister jetzt hier unter uns weilen würde, würde er mit Sicherheit eine solche Desdemona gutheißen, denn sie passt zur Gegenwart.«
»Von Shakespeare habe ich keine Ahnung«, falle ich ihm ins Wort, »aber war Desdemona nicht ein unschuldiges, liebliches Blümelein?«
»Damit bist du sicher aus dem Spiel«, ruft die Blonde und lacht überheblich.
»Nein, nein, heutzutage ist niemand mehr unschuldig«, antwortet Matti, »und eine junge Frau wie Desdemona, die sich den mächtigsten Hai auf dem Fleischmarkt unter den Nagel reißen will, schon gar nicht.«
Baldur steht auf. Kommt näher.
Bleibt stehen. Betrachtet mich von oben bis unten.
Umkreist mich als Nächstes einmal auf der Bühne, ohne die Augen von mir abzuwenden. Bleibt dann zum Schluss direkt vor mir stehen.
»Du erlaubst doch, dass ich dich kurz teste«, säuselt er.
Er hebt seine Hände in Brusthöhe. Streckt seine Daumen von den Händen ab, bis sie sich treffen. Hält die Hände so, als er sie an meinen Hals führt.
Und drückt dann zu.
»Ich muss wissen, ob es klappt, dich zu erwürgen«, fährt er fort und schaut mir drohend in die Augen.
Ich reagiere ganz instinktiv auf die Drohung. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Ramme das eine Knie mit wohl dosierter Kraft in seinen Schritt.
»Maaamaaa!«
Er brüllt vor Schmerz. Hält sich mit beiden Händen seinen Unterbauch. Beugt sich vor. Und jault schon wieder.
Matti beginnt, lauthals zu lachen.
»Verdammte Kuh!«, ruft Baldur zwischen seinen Schmerzenslauten. »Ich bring dich um!«
Das blonde Mädchen stimmt in Mattis Gelächter ein.
»Das ist überhaupt nicht lustig«, sagt Baldur wütend und verletzt.
»Guter Gag!«, sagt Matti. »Das kann ich in die Inszenierung einbauen. Die Desdemona des neuen Jahrhunderts würde sich doch bestimmt wehren, etwas anderes wäre unnormal. Ich weiß, dass der Meister mit mir einer Meinung ist.«
Matti ist irgendwie hübsch-hässlich. Aber entfacht trotzdem kein Feuer in mir.
Das rothaarige Mädchen tröstet Baldur, der immer noch sein Aua beweint. Führt ihn zum Stuhl neben dem Tisch.
»Willst du die Rolle?«, fragt Matti.
»Eigentlich nicht. Ich will viel lieber Informationen.«
»Worüber?«
»Sjöfn.«
Die Atmosphäre ändert sich schlagartig. Sie sind plötzlich auf der Hut.
Werden wachsam.
Denken zuerst, ich sei eine Journalistin auf der Suche nach Neuigkeiten. Sind noch geschockter, als sie die Wahrheit hören.
Besonders Baldur.
»Ich habe da vorhin nur Spaß gemacht«, sagt er demütig. »Du verstehst schon, ich soll nämlich Othello spielen und muss daher auf der Bühne Desdemona erwürgen. Das da vorhin war wirklich ein blöder Idiotengag, das gebe ich zu.«
»Dann erzähl mir mal was über Sjöfn.«
»Aber der Fall ist doch schon gelöst?«, fragt Matti.
»Nein, Adalgrímur hatte keinen Grund, Sjöfn zu ermorden.«
»Nicht?« Matti gestikuliert. »Der Meister spricht an einer Stelle von der gewaltigen Macht, die das grüngeaugte Scheusal, welches man Eifersucht nennt, hat. War es nicht hier
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