Der falsche Zeuge
Freunde schreiben zu wollen, von denen die meisten bereits verstorben sind.«
»Schreibst du an so einem Buch?«
»Ja, es soll von den Karrieren der Männer handeln, die in diesem geheimen Zirkel waren.«
Ich nehme den letzten Schluck vom mittlerweile lauwarmen Kaffee.
»Hreinns Reaktion hat mich eigentlich nicht überrascht«, fügt er hinzu. »Ich habe schon oft gemerkt, dass viele Angehörige empfindlich auf wissenschaftliche Anliegen dieser Art reagieren.«
»Könnte Audólfur Kormáksson immer noch hinter den Kulissen aktiv sein, zum Beispiel in dieser neuen nationalistischen Gruppierung, von der seit kurzem in den Nachrichten gesprochen wird?«
Steingrimur zuckt die Achseln. Er scheint nicht viel Interesse an dem zu haben, was in der Gegenwart passiert. Zumal man darüber keine dicken Schwarten lesen kann.
»Bücherwürmer wohnen in der Bibliothek.«
Sagt Mama.
14
Dienstag
Ófeigur hat ein weißes T-Shirt und Bluejeans an. Seine Haare sind kurz rasiert.
Ein paar blonde, vereinzelte Barthärchen klammern sich an der Oberlippe fest. Lächerlich in ihrer Ohnmacht.
Dieser neue Klient von mir hängt in einem der Stühle am Tisch des kleinen Besuchszimmers herum und startet einen Versuch, lässig zu grinsen.
Er misslingt.
»Du bereitest deiner Mutter viele Sorgen«, sage ich.
»Dann solltest du mich hier so schnell wie möglich rausholen.«
»Weißt du nicht, für was sie dich anklagen wollen?«
»Habe ich nicht das Recht wie alle anderen auch, meine Ansichten nach außen zu vertreten?«, fragt er aufsässig. »Ist das hier nicht eine Demokratie?«
»Es ist zu erwarten, dass du mindestens für fahrlässige Tötung angeklagt wirst.«
Er richtet sich auf. Beugt sich nach vorne. »Es ist doch nicht meine Schuld, dass diese Tussi da runtergeflogen ist«, antwortet er aufgebracht. »Die Bullen haben sie zu uns rübergeschubst, so dass wir gar nicht anders konnten, als sie zurückzuschieben, also, ich meine, wir haben das nur zu unserer eigenen Verteidigung gemacht.«
»Die Staatsanwaltschaft sieht die Sache aber anders«, sage ich kühl. »In der Abteilung hat man vor, dich zum Trocknen auf die Leine zu hängen.«
»Zum Trocknen? Was meinst du damit?«
»Wenn sich ihre Meinung durchsetzt, kannst du dich auf ein paar Jahre Gefängnis einstellen.«
Er starrt über den Tisch. Seine Augen sind hellblau. Und kalt.
Schließlich nickt er. »Ich bin natürlich darauf vorbereitet, dass der Staatsapparat in die Abwehrhaltung geht und als Reaktion ein politisches Urteil spricht«, sagt er. »Das beweist doch noch deutlicher, dass ich ein politischer Gefangener bin.«
»Du redest, als wärst du irgendwie unterbelichtet.«
»Die Unterdrückung durch den Staat führt oft zu politischem Märtyrertum, das auf längere Sicht den Kampf stärkt. Hess saß als junger Mann auch für seine Ansichten im Gefängnis, aber nur ein paar Jahre später stand er an der Spitze der Macht.«
»Bist du wirklich so kindisch?«
Er legt den Kopf in den Nacken.
»Da draußen erwartet dich keine Macht«, füge ich hinzu. »Wenn du das wirklich glaubst, bist du offensichtlich von völlig abwegigen, politischen Hirngespinsten besessen.«
Ófeigur schüttelt starrsinnig seinen kurz rasierten Kopf.
»Wenn die schlimmstmögliche Variante eintritt, haben dich alle schon längst vergessen, wenn du rauskommst, da kannst du Gift drauf nehmen. Vor allem die, von denen du glaubst, sie seien deine Freunde. Aber es könnte dich vor einer langen Haftstrafe bewahren, wenn du die Schweine entlarvst, die dich in diese Situation gebracht haben.«
»Mir fällt im Traum nicht ein, meinen Kumpels irgendwas in die Schuhe zu schieben«, antwortet er. »Ich habe keine Angst davor, für unsere Ansichten und den Kampf im Gefängnis zu sitzen.«
Es überrascht mich nicht, dass Ófeigur unzugänglich und stur ist. Sogar seine Mutter hatte mich davor gewarnt.
Ich versuche es auf einem anderen Weg.
»Du weißt doch wahrscheinlich, dass ich als deine Anwältin an die Schweigepflicht gebunden bin? Dass deshalb alles, was du mir mitteilst, vertraulich ist?«
»Ist das sicher?«
»Natürlich. Und damit ich dich im Gerichtssaal halbwegs anständig verteidigen kann, muss ich den Hintergrund der Geschehnisse im Althing wissen. Deswegen kannst du mir aufrichtig und wahrheitsgetreu berichten, was an diesem Tag passiert ist.«
Er nickt. Vorsichtig.
Trotzdem ist es eine zähe Aufgabe, ihm Informationen aus der Nase zu ziehen. Und er will mir nichts über
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