Der falsche Zeuge
Abgeordnete zu dem Thema in die Haare.
Ein Kerl mit kreischender Stimme aus der Regierungsclique ist froh, dass die Privatisierung der isländischen Energiewerke endlich ernsthaft auf der Tagesordnung steht. Hoffentlich führten die Gespräche dazu, dass die Vorstandsvorsitzenden von Bushron ein Angebot für den Mehrheitsanteil im Konzern unterbreiten oder anbieten, ihn als Ganzes aufzukaufen.
Eine junge Abgeordnete der Opposition vertritt die Gegenseite. Sie hält den Kurs der Regierung, die Energiewerke an Ausländer zu verkaufen, für abwegig. Und schon gar nicht an Bushron, die Bodenschätze rund um den Globus an sich gebracht haben, indem sie Politiker und Beamte in Schlüsselpositionen bestochen haben. Die verstorbene Salvör hätte ja in den letzten Wochen erkenntnisreiche Hintergrundreportagen über unehrenhaftes Auftreten der Firma in Asien und Südamerika im staatlichen Radio gebracht.
Als sich die Diskussion in eine ungehemmte Streiterei auflöst, mache ich den Fernseher aus, grabsche mir die Autoschlüssel und fahre zur Intensivstation der Uniklinik. Ruta besuchen.
Ludmilla sitzt bei ihrer Schwester. Hält die kleine weiße Hand fest umklammert und schaut traurig auf die geschlossenen Augen unter den schwarzen Locken.
»Keine Veränderung?«
Sie schüttelt den Kopf. »Aber weißt du, ich werde morgen herkommen und die Ärzte hier treffen«, sagt sie. »Sie wollen mit mir über die Situation sprechen.«
»Dann kannst du alles fragen, was du über den Zustand von Ruta wissen willst.«
»Ich habe nur Angst, dass sie nichts Gutes zu sagen haben.«
Hmmm …
Ihre Befürchtungen sind mit Sicherheit begründet.
Ein wenig später steht Ludmilla schnell auf, beugt sich über Ruta und küsst ihr die bleiche Stirn. »Ich muss gehen«, sagt sie.
»Soll ich dich irgendwo absetzen?«
»Gerne, wenn du möchtest.«
Den ersten Teil der Strecke sitzt sie schweigend auf dem weichen Beifahrersitz meines Silberpfeils. Starrt vor sich hin. Tief in Gedanken versunken.
»Warum besuchst du Ruta so oft?«, fragt sie plötzlich.
Ich höre Misstrauen in der Stimme heraus.
Warum?
Bilder fliegen mir durchs Gedächtnis: das hübsche kindliche Gesicht. Das nackte Mädchen im kalten Badewasser. Weiß wie eine Leiche.
»Ich habe ihr etwas versprochen«, antworte ich schließlich. »Während ich auf den Krankenwagen gewartet habe.«
»Du konntest mit ihr sprechen?«
»Nein, nicht richtig. Sie war schon bewusstlos, als ich sie fand. Vielleicht habe ich nur mit mir selber gesprochen. Gab mir selbst ein Versprechen. Wer weiß.«
»Was für ein Versprechen meinst du?«
»Ich habe versprochen, dass diejenigen, die ihr so schlimm zugesetzt haben, dafür bezahlen werden.«
»Bezahlen? Was meinst du damit?«
»Das bedeutet, dass sie die Strafe bekommen, die sie verdient haben.«
Sie durchdenkt das Ganze einen Moment. »Aber du kennst sie doch gar nicht«, sagt sie dann. Als ob mein Interesse an Ruta völlig unverständlich wäre.
»Das spielt doch keine Rolle. Ich habe sie in der Badewanne gefunden. Habe sie klatschnass und kalt zum Bett getragen. Habe ihre Hand gehalten, während wir gewartet haben. Und hab ihr ein Versprechen gegeben. Ja, oder eben mir selber. Ein Versprechen in meiner Vorstellung. Und das ist ein Versprechen, das ich halten möchte.«
»Ich verstehe.«
Ihrer Stimme nach zu urteilen, scheint sie immer noch nicht von meinen ehrlichen Absichten überzeugt zu sein.
»Wann kommt Sergei wieder ins Land?«, frage ich.
»Er kommt morgen mit einem Flugzeug aus Dänemark.«
Sie guckt mich wieder an. »Weißt du, er ist unschuldig daran«, fügt sie hinzu.
»Warum bist du davon so überzeugt?«
»Ich kenne Sergei, seit ich so alt war wie Ruta jetzt«, antwortet sie. »Da war er, wie nennt ihr das, mein Retter?«
»Ja, Retter.«
»Also, mein Retter. Ich habe ihm mein Leben anvertraut und weiß in mein Herz, dass er Ruta nie so etwas antun könnte.«
»Seid ihr vielleicht zusammen?«
»Meinst du verheiratet oder so was?«
Ludmilla fängt plötzlich an zu lachen. Zum ersten Mal, seit ich sie kennen gelernt habe.
»So eine Ehe ist nichts für mich«, sagt sie. »Soll ich hundertmal im Jahr unter dem gleichen Mann liegen und dann jedes Jahr wieder? Nein, nein.«
»Nicht?«
»Nein. Weißt du, ich glaube, es ist besser, hundert Männer im Leben zu treffen.«
Ich parke meinen Benz direkt vor der Tür zum Eldóradó. Dem goldenen Tor zum bekanntesten Stripklub von Sigvaldi Audólfsson, besser bekannt unter
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