Der falsche Zeuge
stilisieren?«, ruft er. »Das sind ganz gemeine Verbrecher und sonst nichts!«
»Sie haben trotzdem ihre Rechte«, antworte ich. »Es sei denn, ihr habt die Verfassung weit raus aufs Meer geworfen.«
Die Verabschiedung fällt diesmal ins Wasser.
Verdammt!
Ich komme zu spät! Zu meiner Verabredung in die Innenstadt.
Zum Glück wartet Steingrimur immer noch im Café auf mich. Der politische Archäologe, den Máki mir empfohlen hatte.
Er ist in eine ausländische Zeitschrift versunken. Ein junger Typ. Noch unter dreißig.
Bleiches Gesicht. Schrecklich stubenhockermäßig. Als ob er den ganzen Tag nur über alten Urkunden und dicken Büchern liegen würde.
Am Anfang ist er wachsam, als ich das Thema auf Audólfur Kormáksson und Familie lenke. Scheint überhaupt nicht redselig zu sein.
Da greife ich zu dem Trick, meine Unwissenheit auszuposaunen.
»Alles, was vor 1970 passiert ist, ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln«, sage ich lächelnd.
Er reagiert wohlwollend.
»So schlimm kann es doch nicht sein«, antwortet er.
Aber seine Miene gibt zu erkennen, dass er mir glaubt.
Puh!
»Wegen eines Falles, den ich angenommen habe, muss ich über die Beteiligung dieser Familie an einer Vereinigung von Nationalisten in Island Erkundigungen einziehen«, sage ich.
»Über alles, was neue und alte Verbindungen betrifft. Ich muss so viel wie möglich wissen, bevor ich bei ihnen vorstellig werde.«
»Du kannst Audólfur Kormáksson garantiert nicht treffen.«
»Wer sollte mir das verbieten?«
»Ich sage das aus eigener Erfahrung«, sagt Steingrimur und schlürft langsam seinen Kaffee. »Im letzten Herbst habe ich ihn angerufen. Der Hörer auf der Gabel war noch warm, als ich schon von Hreinn Audólfsson den unmissverständlichen Befehl bekam, den alten Mann in Ruhe zu lassen. Hreinn muss unser Gespräch belauscht haben, denn er wusste ganz genau, was ich Audólfur gefragt hatte.«
»Hast du den Alten trotzdem besucht?«
»Nein, ich habe es nicht versucht, nicht nach den Drohungen der Familie.«
»Was zeigt, dass Hreinn sich Sorgen wegen der politischen Vergangenheit seines Vaters macht. Was glaubst du, weshalb?«
Steingrimur spult Informationen über die Arbeit isländischer Nationalisten während der dreißiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts ab.
»Sie haben hier in Island nie die breite Masse erreicht und nur sehr wenige Stimmen in den Wahlen bekommen, an denen sie teilgenommen haben«, sagt er. »Aber hinter den Kulissen hatten sie wesentlich mehr Einfluss.«
»Inwiefern?«
»Viele mächtige Männer in der Gesellschaft waren den Nationalisten wohlgesonnen, nannten sie junge Männer mit Idealen und anderes in dem Stil. Wir wissen auch, dass in der Bewegung, obwohl sie nach außen hin schwach war, ein starker innerer Zirkel gearbeitet hat, der im Hintergrund alles tat, was möglich war, um das Programm der deutschen Nazis zu unterstützen. Diese Gruppe hat sich im Verborgenen getroffen, bis der Weltkrieg mit der Niederlage Hitlers beendet wurde.«
»Haben sie sich auch weiter getroffen, nachdem der Krieg zu Ende war?«
Er nickt.
»Zu welchem Zweck?«
»Wir kennen die Namen der meisten, die zu diesem geheimen inneren Zirkel gehörten. Sie kamen im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg alle zu großem Einfluss in der isländischen Gesellschaft«, antwortet Steingrimur. »Manche wurden ins Parlament gewählt, manche bekamen einen Posten mit weit reichender Macht im Staatsapparat. Ich habe daraus den Schluss gezogen, dass sie zusammengehalten haben, um einander heimlich zu unterstützen.«
»Hat Audólfur Kormáksson so eine Karriere hinter sich?«
»Ja. In den ersten Jahren nach Kriegsende hat er in der Regierung gearbeitet und viel mit dem Außenhandel zu tun gehabt. Der Posten war eine gute Ausgangsbasis für das Fundament seines späteren Erfolges. Ein paar Jahre danach hat er einen eigenen Großhandel gegründet und im Anschluss daran eine andere Firma aufgebaut, die auch sehr guten Gewinn abwarf. Zumal er jahrelang zu den einflussreichsten Männern in der isländischen Wirtschaft gehörte.«
»Und du bist sicher, dass er in diesem geheimen Zirkel isländischer Nazis war?«
»Zweifellos«, antwortet Steingrímur, »und als ich ihn anrief, schien er sogar einverstanden zu sein, mit mir über die alten Zeiten zu sprechen.«
»Wovor hat die Familie dann Angst?«
»Hreinn hat gesagt, es grenze ja schon an Heimsuchung, wieder ein Buch über die dummen Jugendstreiche seines Vaters und dessen
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