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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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das«, sagte sie in einem Ton, der ihr Desinteresse an der Unterhaltung zeigte.
    Ich war ein paar Schritte auf sie zugetreten, denn trotz allem faszinierte mich dieses Geschöpf, das für mich den doppelten Zauber hatte, eine Sterbende und zugleich ein Soldat zu sein. Hätte ich meinem Hang nachgeben dürfen, so hätte ich, glaube ich, sinnlose Zärtlichkeiten gestammelt, die sie sicherlich mit Verachtung zurückgewiesen hätte. Wo aber hätte ich Worte finden sollen, die nicht seit langem so gründlich verfälscht waren, daß sie sich als unbrauchbar erwiesen? Ich gebe übrigens zu, daß dies alles nur deshalb wahr ist, weil es in uns etwas zutiefst Verdorbenes gab, eine düstere Erfahrung, die uns verbot, Worten und nicht nur Worten zu vertrauen. Eine wirkliche Liebe konnte uns noch retten: sie vor der Gegenwart, mich vor der Zukunft. Aber Sophie hatte diese wirkliche Liebe nur durch einen jungen russischen Bauern kennengelernt, der gerade in einer Scheune erschossen worden war.
      Mit einer linkischen Bewegung legte ich meine Hände auf ihre Brust, als wollte ich mich überzeugen, daß ihr Herz noch schlug, und wiederholte noch einmal:
    »Ich werde mein möglichstes tun.«
      »Lassen Sie das doch sein, Erich, es paßt nicht zu Ihnen«, sagte sie und wich zurück – ob vor meiner zärtlichen Bewegung oder vor meinem Versprechen, kann ich nicht sagen.
      Sie trat an den Tisch und klingelte mit einer Glocke, die dort vergessen worden war. Ein Soldat erschien. Als Sophie hinausgegangen war, bemerkte ich, daß sie meine Zigarettendose mitgenommen hatte.
      Niemand schlief an jenem Abend – Chopin weniger als alle anderen. Wir hätten eigentlich das dürftige Sofa des Bahnhofsvorstehers teilen sollen, aber Chopin ging die ganze Nacht im Zimmer auf und ab, und ich sah seinen Schatten, den Schatten eines dicklichen, durch soviel Unglück zerbrochenen Mannes an der Wand neben ihm hergehen. Zwei- oder dreimal blieb er vor mir stehen, legte seine Hand auf meinen Arm und schüttelte den Kopf; dann setzte er schwerfällig seine trostlose Wanderung fort. Er wußte genausogut wie ich, daß wir uns entehren würden, wenn wir unseren Kameraden vorgeschlagen hätten, allein diese Frau zu verschonen, eine Frau, von der jeder wußte, daß sie zum Feind übergelaufen war. Chopin seufzte. Ich drehte mich zur Wand, um ihn nicht länger zu sehen.
    Es wäre mir schwergefallen, ihn nicht anzuschreien, und doch tat niemand mir so leid wie er. An Sophie konnte ich nicht denken, ohne im Magen den Brechreiz eines Hasses zu fühlen, der beinahe ihren Tod wünschte. Dann kam die Gegenwirkung, und ich rannte mit meinem Kopf gegen das Unvermeidliche wie ein Gefangener gegen die Wände seiner Zelle. Es war nicht Sophies Tod, vor dem mir grauste, sondern ihr unbeugsamer Wille: zu sterben. Ich fühlte, daß ein besserer Mensch als ich irgendeinen bewundernswerten Ausweg gefunden hätte; aber ich bin mir von jeher klar gewesen über meinen Mangel an Erfindungsgeist, der vom Herzen ausgeht.
      Das Verschwinden von Konrads Schwester, sagte ich mir, wird wenigstens einen Strich unter meine vergangene Jugend ziehen und das letzte Band zwischen mir und diesem Lande zerschneiden. Auch an die anderen Toten, deren Sterben ich mitangesehen hatte, mußte ich denken – als hätten sie Sophies Hinrichtung entschuldigen können. Damals, als ich an den billigen Preis der Menschenware dachte, sagte ich mir, daß ich gar zu viel Umstände mache um den Kadaver einer Frau, der mich wohl kaum gerührt hätte, wenn ich im Korridor der Spinnerei »Warner« auf ihn gestoßen wäre.
      Am nächsten Morgen begab Chopin sich schon vor mir auf das Gelände zwischen dem Bahnhof und der Gemeindescheune. Die auf einem Rangiergleis wartenden Gefangenen sahen noch etwas mehr aus wie Tote als am Abend zuvor. Diejenigen von unseren Männern, die einander abgelöst hatten, um sie zu bewachen und von dem zusätzlichen Frondienst erschöpft waren, schienen auch am Ende ihrer Kräfte. Ich war es, der vorgeschlagen hatte, bis zum Morgen zu warten. Diese Maßnahme, die ich nur Sophies wegen traf, hatte zur Folge, daß alle eine weitere böse Nacht verbrachten.
    Sophie saß auf einem Holzstapel, die Hände zwischen den gespreizten Knien und die Hacken ihrer schweren Schuhe tief in der nassen Erde. Sie rauchte unentwegt meine Zigaretten. Es war das einzige Zeichen von Angst, das ich bemerkte. Die kalte Morgenluft gab ihren Wangen eine gesunde rosige Farbe. Ihre zerstreuten

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