Der Fangschuss
Schwächen, die durch seine Sprache und deren Eigentümlichkeiten deutlich werden, mit seinen richtigen und falschen Urteilen, seinen Vorurteilen, von denen er nicht weiß, daß er sie hat, mit seinen Lügen, die er eingesteht, oder seinen Eingeständnissen, die Lügen sind, mit seinen Auslassungen und sogar mit dem, was ihm entfallen ist.
Eine solche literarische Form hat freilich den Nachteil, stärker als jede andere den Leser zur Mitarbeit aufzufordern; sie zwingt ihn, die mit den Augen des Ichs gesehenen Ereignisse gleichsam wie Gegenstände unter Wasser wieder ins rechte Licht zu rücken. In den meisten Fällen begünstigt die Verschiebung der Tatsachen in einem Ich-Roman den Erzähler; in Der Fangschuß gereicht dagegen diese Verzerrung, die unvermeidlich ist, wenn man von sich selbst redet, dem Erzähler zum Schaden. Ein Mann vom Typ Erich von Lhomonds lebt in Widerstreit mit sich selbst, sein Grauen vor dem Selbstbetrug treibt ihn dazu, seine Handlungen im Zweifelsfall möglichst schlimm zu deuten; seine Angst, sich eine Blöße zu geben, zwängt ihn in einen Harnisch der Härte, den ein wirklich harter Mann nie anlegt; sein Stolz dämpft seinen Dünkel. Dadurch läuft der naive Leser Gefahr, aus Erich von Lhomond einen Sadisten zu machen und nicht einen Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken, entschlossen ist, seinen grausamen Erinnerungen die Stirn zu bieten, einen tressengeschmückten Rohling, doch dabei vergißt der Leser, daß gerade ein Rohling als letzter von der Erinnerung heimgesucht würde, anderen Leid zugefügt zu haben, oder er hält ihn sogar für einen berufsmäßigen Antisemiten, während die Verspottung der Juden nur zu dem Kastengeist dieses Mannes gehört, der aber seine Bewunderung für den Mut der israelitischen Pfandverleiherin durchblicken läßt und Grigori Loew in den Heldenkreis seiner toten Freunde und Feinde aufnimmt.
Natürlich tritt bei den komplizierten Liebe-und-Haß-Beziehungen die Diskrepanz zwischen dem Bild, das der Erzähler von sich entwirft, und dem, was er ist oder gewesen ist, am deutlichsten zutage. Erich scheint Konrad von Reval in den Hintergrund zu verbannen, denn er skizziert diesen heißgeliebten Freund nur flüchtig; erstens, weil er nicht der Mann ist, der sich bei dem aufhält, was ihn am meisten bewegt, zweitens, weil er gleichgültigen Zuhörern nicht viel von diesem Kameraden erzählen kann, der verschwand, bevor er sich behauptet oder geformt hatte. Ein waches Ohr hört vielleicht bei einigen Anspielungen auf seinen Freund die gekünstelte Unbefangenheit oder unmerkliche Gereiztheit heraus, die man allem gegenüber zeigt, das man zu sehr geliebt hat. Wenn er dagegen Sophie in den Vordergrund schiebt und sie bis in ihre Schwächen und armseligen Ausschweifungen hinein vorteilhaft darstellt, so nicht nur, weil ihm die Liebe des jungen Mädchens schmeichelt, ja ihn sogar von sich selbst überzeugt, sondern auch, weil sein Ehrenkodex ihn dazu verpflichtet, diese Gegnerin – denn das ist eine Frau, die man nicht liebt – respektvoll zu behandeln. Andere Verzerrungen sind weniger beabsichtigt. Dieser an sich klarblickende Mann systematisiert, ohne es zu wollen, den Überschwang und die Hemmungen der ersten Jugend; vielleicht war er verliebter in Sophie, als er behauptet; bestimmt war er ihretwegen eifersüchtiger, als seine Eitelkeit ihm zuzugeben erlaubt; andererseits sind sein Widerwillen und seine Auflehnung gegen die aufdringliche Leidenschaft des jungen Mädchens weniger ausgefallen, als er annimmt: fast banale Schockwirkungen der ersten Begegnung eines Mannes mit der furchtbaren Liebe.
Neben der Geschichte von dem Mädchen, das sich anbietet, und dem Jüngling, der sich verweigert, ist das Hauptthema in Der Fangschuß die Wesensgleichheit, die Schicksalsverbundenheit von drei Menschen, die denselben Entbehrungen und Gefahren ausgesetzt sind. Erich und Sophie gleichen sich vor allem in ihrer Unversöhnlichkeit und ihrem leidenschaftlichen Drang, bis zum Äußersten zu gehen. Sophies Verirrungen entspringen eher dem Bedürfnis, sich mit Leib und Seele hinzugeben, als dem Verlangen, von jemandem genommen zu werden oder jemandem zu gefallen. Erichs Zuneigung zu Konrad ist mehr als ein körperliches oder sogar gefühlsmäßiges Verhalten; seine Wahl entspricht tatsächlich einem bestimmten Ideal männlicher Härte, einem Trugbild heldenhafter Kameradschaft; sie ist Teil einer Lebensanschauung. Wenn der junge Mann und die junge Frau sich am Ende des
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