Der Fangschuss
Buches wiedertreffen, versuche ich durch die wenigen Worte, die sie für wert finden, miteinander zu wechseln, diese Intimität oder diese Ähnlichkeit aufzuzeigen, die stärker ist als die Konflikte sinnlicher Leidenschaft oder politischer Überzeugung, stärker sogar als der Groll unbefriedigten Begehrens oder gekränkter Eitelkeit: jenes so enge geschwisterliche Band, das sie vereint, was sie auch tun, und das die Tiefe ihrer Wunden erklärt. An diesem Punkt spielt es keine Rolle mehr, wer von den beiden den Tod bringt oder empfängt. Nicht einmal, ob sie sich nun gehaßt oder geliebt haben.
Ich weiß, daß ich gegen den Zeitstrom schwimme, wenn ich hinzufüge, daß einer der Gründe, weshalb ich den Fangschuß schreiben wollte, der innere Adel dieser Romanfiguren ist. Über den Sinn dieses Wortes muß man sich verständigen: für mich schließt es jegliche eigennützige Berechnung aus. Ich verkenne nicht, daß in einem Buch, in dem drei Hauptpersonen einer bevorrechtigten Klasse angehören, ja deren letzte Vertreter sind, von Adel zu reden eine gefährliche Zweideutigkeit in sich birgt. Wir wissen nur zu gut, daß die beiden Begriffe des moralischen Adels und der gesellschaftlichen Aristokratie meistens nicht übereinstimmen. Andererseits würde man dem heute allgemein beliebten Vorurteil verfallen, wenn man einfach leugnete, daß das Ideal des Erbadels, so gewollt es auch sein mag, in manchen Naturen mitunter die Entwicklung einer Unabhängigkeit oder eines Stolzes, einer Treue oder einer Uneigennützigkeit fördert, das heißt Eigenschaften, die bestimmt edel sind. Diese Würde des Wesens, die die zeitgenössische Literatur aus Konvention häufig ihren Gestalten abspricht, hat übrigens so wenig mit der sozialen Herkunft zu tun, daß Erich sie trotz seiner Vorurteile Grigori Loew zubilligt, dem gewandten Volkmar hingegen nicht, obwohl dieser aus seinem Milieu und seinem Lager stammt.
Nachdem ich zu meinem Bedauern das betont habe, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, muß ich, glaube ich, zum Schluß noch erwähnen, daß Der Fangschuß keineswegs bezweckt, irgendeine Gruppe oder Klasse, irgendeine Partei oder irgendein Land zu verherrlichen oder in Verruf zu bringen. Schon allein die Tatsache, daß ich Erich von Lhomond einen französischen Nachnamen und französische Vorfahren gegeben habe, vielleicht um ihn mit jener Klarheit und Schärfe des Geistes ausrüsten zu können, die nicht unbedingt deutsche Charakteristika sind, widerlegt jede Deutung, die entweder diese Gestalt zum Idealbild erhebt oder, im Gegenteil, zum Zerrbild eines bestimmten Adels- oder deutschen Offizierstyps erniedrigt. Der Fangschuß wurde wegen seines Wertes nicht als politisches, sondern als menschliches Dokument (wenn es dies gibt) geschrieben, und so sollte dieses Buch auch beurteilt werden.
Marguerite Yourcenar
Die Tragödie Bajazet (1674), einzige Ausnahme im Werk Racines, behandelt ein zeitgenössisches Thema, eine Palastrevolution, die sich 30 Jahre vorher in Konstantinopel ereignet hatte und von der Racine durch den französischen Botschafter bei der Hohen Pforte erfuhr. Racine weist ausdrücklich auf die Tatsache hin, daß dieses so naheliegende Geschehnis, das sich in einem weit entfernten Lande ereignet hat und in einem Milieu, das den Franzosen seiner Zeit fast unerreichbar war, schon den poetischen Charakter einer antiken Tragödie erlangt hatte.
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