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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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vor fünfzehn Minuten gegangen.
    »Warum machen Sie das?«, fragte er. »Aus welchem Grund haben Sie all diese Leute getötet?«
    »Es wurden
nicht
alle getötet«, korrigierte der Hexer ihn verärgert. »Die Nummer mit der Reiterin am Hudson River haben Sie mir verdorben.«
    »Na gut, von mir aus. Was sollten also diese Überfälle?«
    »Es war nichts Persönliches«, sagte er und bekam einen Hustenanfall.
    »Nichts Persönliches?«, wiederholte Rhyme ungläubig.
    »Sagen wir, es ging eher um das, wofür diese Leute standen, als um die eigentlichen Personen.«
    »Wie meinen Sie das? ›Wofür sie standen‹? Erklären Sie es mir.«
    »Nein, ich glaube nicht, dass ich das tun werde«, flüsterte der Hexer, ging langsam um Rhymes Bett herum und atmete immer noch schwer. »Wissen Sie, was während einer Vorstellung in den Köpfen der Zuschauer abläuft? Ein Teil von ihnen hofft, dass der Illusionist sich
nicht
rechtzeitig befreit, sondern dass er ertrinkt, verbrennt, aufgespießt oder zermalmt wird. Es gibt eine Nummer namens
Der brennende Spiegel
. Eine meiner Lieblingsnummern. Am Anfang schaut ein eitler Illusionist in einen Spiegel und entdeckt auf der anderen Seite des Glases eine schöne Frau. Sie winkt ihn zu sich, und schließlich erliegt er der Versuchung und schreitet hindurch. Das Publikum sieht, dass die beiden die Seiten getauscht haben und die Frau nun
vor
dem Spiegel steht. Dann steigt jählings eine große Rauchwolke auf, und die Frau verwandelt sich in Satan.
    Der Illusionist ist also in der Hölle gefangen und wird an den Boden gekettet. Rund um ihn lodern Flammen empor. Die Feuerwand kommt immer näher. Kurz bevor die Flammen ihn verschlingen, kann er sich von den Ketten befreien und springt durch das Feuer hinter dem Spiegel in Sicherheit. Der Teufel rennt auf ihn zu, fliegt in die Höhe und verschwindet. Der Illusionist zertrümmert den Spiegel mit einem Hammer. Dann geht er quer über die Bühne, bleibt stehen und schnippt mit den Fingern. Es gibt einen Lichtblitz, und – Sie haben es vermutlich schon erraten – der Mann verwandelt sich in den Teufel… Das Publikum liebt diese Nummer… Aber ich weiß, dass so mancher insgeheim wünscht, das Feuer würde gewinnen und der Illusionist sterben.« Er hielt inne. »Und natürlich kommt so etwas bisweilen
tatsächlich
vor.«
    »Wer
sind
Sie?«, flüsterte Rhyme voller Verzweiflung.
    »Ich?« Der Hexer beugte sich vor. »Ich bin der Zauberer des Nordens«, erwiderte er leidenschaftlich. »Ich bin der größte Illusionist aller Zeiten. Ich bin Houdini. Ich bin der Mann, der dem brennenden Spiegel entflieht. Der sich von Handschellen und Ketten befreien kann, von Seilen oder aus verschlossenen Räumen,
von allem
…« Er sah Rhyme durchdringend an. »Außer… außer von Ihnen. Ich musste befürchten, dass Sie das einzige Risiko darstellen würden, dem ich
nicht
ausweichen könnte. Sie sind zu gut. Ich muss Sie vor morgen Nachmittag aufhalten…«
    »Warum? Was geschieht morgen Nachmittag?«
    Der Hexer antwortete nicht, sondern blickte ins Halbdunkel. »Und nun, verehrtes Publikum, kommen wir zu unserer Hauptnummer – 
Der Eingeäscherte
. Sehen Sie sich unseren Probanden an – keine Ketten, keine Handschellen, keine Seile. Trotzdem kann er unmöglich entkommen. Das hier ist sogar noch schwieriger als die erste Entfesselungsnummer der Welt: die des heiligen Petrus. In ein Verlies geworfen, gefesselt, bewacht. Und doch ist er entflohen. Allerdings hatte
er
einen wichtigen Verbündeten. Gott. Unser Proband heute Abend muss hingegen allein zurechtkommen.«
    In der Hand des Hexers tauchte ein kleiner grauer Gegenstand auf, und noch bevor Rhyme reagieren und den Kopf abwenden konnte, zuckte die Hand vor und klebte ihm einen Streifen Isolierband auf den Mund.
    Dann löschte der Mörder alle Lampen bis auf ein kleines Nachtlicht, kehrte zu Rhymes Bett zurück, streckte den Zeigefinger aus und schnippte mit dem Daumen dagegen. Eine fast zehn Zentimeter hohe Flamme stieg aus der Fingerspitze empor.
    Der Hexer schwenkte den Finger hin und her. »Wie ich sehe, schwitzen Sie.« Er hielt die Flamme dicht vor Rhymes Gesicht. »Feuer… Ist es nicht faszinierend? Kaum etwas verfügt über eine dermaßen starke Anziehungskraft. Feuer ist die perfekte Ablenkung. Jeder achtet ganz automatisch darauf. Das Publikum wendet den Blick nicht davon ab und würde daher auch niemals bemerken, was ich mit meiner anderen Hand mache. Zum Beispiel…«
    Er hielt urplötzlich Rhymes

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