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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Manchmal trete ich dort auf und bekomme etwas Trinkgeld.«
    »Das hier ist viel zu viel Geld dafür. Ich habe als Kellnerin nie solche Trinkgelder gekriegt.«
    »Ich bin gut«, sagte der Junge.
    »Das war ich auch… Du trittst auf? Als was denn?«
    »Als Zauberkünstler.« Er war enttäuscht. Er hatte es ihr schon vor Monaten erzählt. »Sieh mal.« Er zeigte ihr einen Kartentrick.
    »Gar nicht mal schlecht«, sagte sie und nickte. »Aber weil du mich angelogen hast, werde ich dieses Geld behalten.«
    »Ich hab nicht gelogen!«
    »Du hast mir nicht erzählt, was du machst. Das ist das Gleiche wie eine Lüge.«
    »Mom, es gehört mir.«
    »Du hast gelogen, also zahlst du.«
    Mit einiger Anstrengung stopfte sie sich das Geld in eine Tasche ihrer Jeans, was wegen der Fettwülste gar nicht so einfach war. Dann zögerte sie. »Okay, hier hast du zehn Dollar zurück. Vorausgesetzt, du verrätst mir etwas.«
    »Ich soll dir…?«
    »Etwas verraten. Hast du deinen Vater je zusammen mit Tiffany Loam gesehen?«
    »Keine Ahnung… Wer ist das?«
    »Das weißt du sehr wohl, also tu nicht so scheinheilig. Sie ist Kellnerin im Sands und war vor ein paar Monaten mit ihrem Mann zum Essen bei uns. Die Frau mit der gelben Bluse.«
    »Ich…«
    »Hast du die beiden gesehen? Wie sie gestern zusammen in die Wüste gefahren sind?«
    »Nein, hab ich nicht.«
    Sie musterte ihn durchdringend und kam zu dem Schluss, dass er die Wahrheit sagte. »Falls du sie
doch
siehst, sagst du mir sofort Bescheid.«
    Und dann kehrte sie zu ihrem Teller Spaghetti zurück, der im Wohnzimmer auf einem Tablett vor dem Fernseher stand.
    »Mein Geld, Mom!«
    »Sei still, bei
Jeopardy
kommt gerade die Bonusfrage.«
    Als der Junge eines Tages wieder mal eine kleine Show im Abracadabra gab, betrat ein schlanker ernster Mann den Laden und ging nach hinten zu der Bühne. All die Zauberkünstler und Verkäufer verstummten. Er war ein berühmter Illusionist und zu jener Zeit im Tropicana engagiert. Jeder hier hatte von seinem jähzornigen Temperament gehört, und seine dunklen, schaurigen Nummern waren weithin berüchtigt.
    Nach der Vorstellung winkte der Illusionist den Jungen zu sich und deutete auf das handgeschriebene Schild, das neben der Bühne stand. »Du nennst dich den ›jungen Houdini‹?«
    »Ja.«
    »Hältst du dich für würdig, diesen Namen zu tragen?«
    »Ich weiß nicht. Er hat mir einfach nur gefallen.«
    »Zeig mir noch ein paar Tricks.« Er wies auf einen mit Samt bespannten Tisch.
    Der Junge fing an, ziemlich nervös, denn eine lebende Legende sah ihm dabei zu.
    Ein Nicken, anscheinend beifällig gemeint. Dass ein vierzehnjähriger Junge ein solches Kompliment bekam, ließ alle anderen Zauberer im Raum andächtig schweigen.
    »Soll ich dir etwas zeigen?«
    Der Junge nickte begeistert.
    »Gib mir die Münzen.«
    Er streckte dem Mann bereitwillig die offene Handfläche entgegen. Der Illusionist runzelte die Stirn. »Wo sind sie?«
    Seine Hand war leer. Der Illusionist lachte barsch über das verdutzte Gesicht des Jungen. Er hatte sich die Münzen längst geholt. Der Junge war erstaunt; er hatte nicht das Geringste gespürt.
    »Jetzt werde ich die hier hochhalten…«
    Der Junge hob den Kopf, aber eine innere Stimme sagte plötzlich: Mach eine Faust! Er will die Münzen zurücklegen. Bring ihn vor all den anderen in Verlegenheit. Schnapp dir seine Hand!
    Auf einmal – und ohne nach unten zu schauen – erstarrte der Illusionist und flüsterte: »Willst du das
wirklich
tun?«
    Der Junge war perplex. »Ich…«
    »Denk lieber noch mal drüber nach.« Er deutete auf die Hand des Jungen.
    Der junge Houdini sah ebenfalls hin und erschrak. Der Mann hatte bereits etwas auf seine Handfläche gelegt, aber nicht etwa die Münzen, sondern fünf beidseitig geschliffene Rasierklingen. Hätte er die Finger wie beabsichtigt zur Faust geballt, wäre eine Fahrt in die Notaufnahme fällig gewesen.
    »Zeig mir deine Hände«, sagte der Illusionist, nahm die Rasierklingen und ließ sie im selben Moment verschwinden.
    Der junge Houdini streckte ihm beide Hände entgegen, und der Mann berührte sie und strich mit den Daumen darüber. Für den Jungen fühlte es sich so an, als würde zwischen ihnen elektrischer Strom fließen.
    »Du hast die richtigen Hände, um ein ganz Großer zu werden«, flüsterte der Illusionist ihm so leise zu, dass kein anderer es hören konnte. »Du hast den Ehrgeiz, und ich
weiß
, dass du die nötige Grausamkeit besitzt… Aber du hast keine

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