Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Körpergewichts in einen der Zählräume hinter den Kulissen versetzte). Die beiden gehörten zu dem Heer dienstbarer Geister, das in Las Vegas sowohl vom Management als auch von den Gästen wie Luft behandelt wurde. Ihr ganzes Leben lang hatten sie ständig mit Bargeld zu tun, so dass sie irgendwann sogar die Druckfarbe, das Parfum und den Schweiß riechen konnten, der den Banknoten anhaftete. Dabei war ihnen ständig bewusst, dass diese erstaunlich hohen Beträge immer nur für wenige Sekunden in ihren Händen verweilen würden.
So wie viele andere Kinder, die oft allein waren, weil ihre Eltern in langen und häufig wechselnden Schichten arbeiten mussten – ob nun in Vegas oder sonst wo auf der Welt –, hatte ihr Sohn an einem anderen Ort Trost gesucht.
Und dieser Ort war der Strip.
Ich habe Ihnen bereits von den Täuschungen erzählt, verehrtes Publikum – wie wir Illusionisten mittels Gesten, Farben, Lichtern, Überraschungen oder Geräuschen die Aufmerksamkeit der Zuschauer von unseren Methoden ablenken. Nun, eine Täuschung ist mehr als ein Bühnentrick; es ist darüber hinaus ein Aspekt unseres Lebens. Wir alle fühlen uns durch glanzvollen Prunk angezogen, weg von der Langeweile, dem ewigen Einerlei, den zankenden Familien, den heißen, ereignislosen Stunden am Rande der Wüste, den höhnisch lachenden Teenagern, die einen kleinen Jungen hetzen, weil er schmächtig und schüchtern ist, und ihn dann zum Spaß mit unerbittlich harten Fäusten verprügeln…
Der Strip war seine Zuflucht.
Vor allem die Läden für Zaubereibedarf. Und von denen gab es viele; Las Vegas galt in der Branche weltweit als Hauptstadt der Zauberkunst. Für den Jungen waren die Geschäfte mehr als nur simple Verkaufsstellen; sie waren Orte, an denen ehrgeizige Zauberkünstler – teils noch aktiv, teils schon im Ruhestand – sich trafen, um miteinander zu plaudern, Klatsch auszutauschen und sich über ihre Tricks zu unterhalten.
In einem dieser Läden lernte der Junge etwas Wichtiges über sich selbst. Er mochte schmächtig, schüchtern und ein langsamer Läufer sein, aber er war außerordentlich geschickt. Die Zauberer hier führten ihm die unterschiedlichsten Tricks vor, und er machte sie ihnen sofort nach. »Ein geborener Prestidigitateur«, sagte einer der Verkäufer über den Dreizehnjährigen und zog verblüfft eine Augenbraue hoch.
Der Junge runzelte die Stirn, denn er hatte dieses Wort noch nie gehört.
»Das ist ein französischer Begriff aus dem neunzehnten Jahrhundert«, erklärte der Mann. »›Presto‹ heißt schnell, und ›digital‹ steht im Französischen für ›Finger-‹. Also jemand mit flinken Fingern. Ein Taschenspieler.«
Und so wuchs in ihm allmählich die Erkenntnis, dass er eventuell mehr war als nur ein lästiges Anhängsel seiner Familie, mehr als ein Prügelknabe für die anderen.
Jeden Nachmittag lief er nach Schulschluss gleich in seinen Lieblingsladen, wo er aufmerksam zuhörte und das Wissen wie ein Schwamm in sich aufsog. Zu Hause übte er unaufhörlich. Bisweilen engagierte ihn einer der Geschäftsführer, damit er in der Vorführecke des Ladens den Kunden die Ware demonstrierte und kleine Showeinlagen zum Besten gab.
Er konnte sich immer noch genau an seinen allerersten Auftritt erinnern. Von jenem Tag an drängte der junge Houdini – so sein erster Künstlername – sich bei jeder nur möglichen Gelegenheit auf die Bühne. Wie herrlich es doch war, das Publikum zu faszinieren, zu entzücken, herauszufordern und zu überlisten. Oder es zu erschrecken. Das gefiel ihm ganz besonders.
Schließlich flog er auf – durch seine Mutter. Sie bemerkte irgendwann, dass der Junge kaum noch Zeit zu Hause verbrachte, und durchsuchte sein Zimmer nach einem Hinweis. »Ich habe dieses Geld gefunden«, herrschte sie ihn eines Abends an, als er zur Hintertür hereinkam, stand vom Essen auf und watschelte in die Küche. »Bitte erklär mir das.«
»Es stammt aus dem Abracadabra.«
»Was
ist
das?«
»Ein Laden. In der Nähe des Tropicana. Ich habe dir davon erzählt…«
»Du hast auf dem Strip nichts zu suchen.«
»Mom, es ist bloß ein Fachgeschäft für Zaubereibedarf.«
»Wo bist du gewesen? Hast du getrunken? Hauch mich mal an.«
»Mom, nein.« Er scheute vor der massigen Frau zurück. Ihr Shirt war mit Pastasoße befleckt, und ihr Atem stank abscheulich.
»Wenn man dich in einem der Casinos erwischt, könnte das mich und deinen Vater unsere Jobs kosten.«
»Ich war nur in dem Laden.
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