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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Whiskyflasche umschlossen und wärmte ihren Boden eine Weile mit der Flamme an. Dann nahm er einen Schluck, hielt sich den brennenden Finger dicht vor die Lippen und sah Rhyme an, der unwillkürlich erschrak. Doch der Hexer lächelte, wandte sich ab, blies den Feuerstrahl in Richtung Zimmerdecke und wich ein Stück zurück, während die gleißende Helligkeit wieder zu Finsternis wurde.
    Rhyme schaute in eine Ecke seines Zimmers.
    Der Hexer lachte. »Der Rauchmelder? Um den habe ich mich schon gekümmert und die Batterie entfernt.« Er schickte noch einen Flammenstrahl zur Decke und stellte die Flasche ab.
    Auf einmal hatte er ein weißes Taschentuch in der Hand und streckte es Rhyme entgegen. Es war mit Benzin getränkt. Der beißende Dunst brannte in Rhymes Augen und Nase. Der Hexer rollte das Taschentuch zu einem kurzen Band zusammen, riss Rhymes Pyjamajacke auf und legte es ihm wie einen Schal um den Hals.
    Dann ging er zur Tür, schob leise den Riegel beiseite und schaute hinaus.
    Rhyme roch noch etwas anderes außer dem Benzin. Was war das? Ein schwerer, rauchiger Duft… Oh, der Scotch. Der Killer musste die Flasche offen gelassen haben.
    Doch der Geruch wurde immer stärker und überdeckte das Benzin. Fast schon betäubend. Überall war Whisky. Und Rhyme begriff entsetzt, was der Mann da tat. Er hatte mit dem Alkohol eine Spur vom Bett zur Tür gelegt, wie eine Lunte. Der Hexer schnippte mit dem Finger, und ein weißer Feuerball flog von seiner Hand in die Pfütze aus Single Malt.
    Der Alkohol entzündete sich, und blaue Flammen züngelten über den Boden. Gleich würden sie einen Stapel Zeitschriften und einen Karton neben dem Bett in Brand setzen. Außerdem einen der Rattansessel.
    Bald darauf würde das Feuer über die Bettwäsche nach oben klettern und erst Rhymes Körper verschlingen, was er nicht spüren würde, und dann unter schrecklichen Qualen seinen Kopf. Er sah zu dem Hexer, aber der Mann war weg und die Tür geschlossen. Rauch stieg ihm in Augen und Nase. Das Feuer kroch näher, entzündete Schachteln, Bücher und Poster, schmolz CDs.
    Und schon streckten die ersten blaugelben Flammen sich nach den Decken am Fußende von Lincoln Rhymes Bett.

…Sechsundzwanzig
    Ein gewissenhafter Streifenpolizist, der vielleicht ein merkwürdiges Geräusch gehört oder eine offene Tür gesehen hatte, verschwand in einer Gasse an der West Side. Fünfzehn Sekunden später kam ein anderer Mann daraus zum Vorschein. Er trug einen dünnen kastanienbraunen Rollkragenpullover, eine enge Jeans und eine Baseballmütze.
    Malerick, der die Rolle von Officer Larry Burke abgelegt hatte, ging zielstrebig den Broadway hinauf. Wer ihm ins Gesicht sah und den selbstsicheren, unternehmungslustigen Blick bemerkte, musste ihn für einen Nachtschwärmer halten, der zu einem der nahen Lokale wollte, um dort etwas für sein Ego und seinen Sexualtrieb zu tun, die vermutlich beide in letzter Zeit gelitten hatten, denn er war nicht mehr der Jüngste.
    Vor einer Kneipe blieb er stehen und sah hinein. Ja, dies schien genau der richtige Ort zu sein, um eine Weile abzuwarten und dann noch mal kurz bei Lincoln Rhymes Haus vorbeizuschauen und den Brandschaden zu begutachten.
    Er setzte sich auf einen Hocker am Ende des Tresens, in der Nähe der Küche, und bestellte sich ein Sprite und ein Putensandwich. Dann sah er sich um: die Spielautomaten mit ihrem elektronischen Gedudel, eine verstaubte Jukebox, der Raum verqualmt und dunkel. Es roch nach Schweiß, Parfum und Desinfektionsmittel. Er hörte trunkenes Gelächter und das Stimmengewirr banaler Gespräche. Das alles versetzte ihn zurück in seine Jugend, damals in der Wüstenstadt.
    Las Vegas glich einem Spiegel, der von gleißenden Lichtern umgeben war. Man konnte stundenlang hineinstarren und sah doch immer nur sich selbst, mit allen Runzeln und Falten, aller Eitelkeit, Gier und Verzweiflung. Es war ein schmutziger, erbarmungsloser Ort, in dessen Seitenstraßen die fröhliche Neonwelt des Strips schon nach ein oder zwei Blocks verblasste und niemals den Rest der Stadt erreichte: die Wohnmobile und altersschwachen Bungalows, die öden Supermärkte, die Pfandleihen voller Verlobungsringe, Anzugjacketts, Armprothesen – was auch immer sich zu Bargeld machen ließ.
    Und überall die staubige, endlose, beigefarbene Wüste.
    In diese Welt wurde Malerick hineingeboren.
    Sein Vater war Geber am Blackjacktisch, seine Mutter Kellnerin im Casinorestaurant (bis man sie wegen ihres stetig zunehmenden

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