Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Zirkus planen. Also habe ich ihn mit falschen Informationen abgelenkt.«
»Und die von Ihnen gestandenen anderen Morde? Das waren ebenfalls falsche Informationen?«
»Genau. Ich habe niemanden umgebracht. Jemand anders hat es getan und versucht, es mir in die Schuhe zu schieben.«
Ah, die älteste Ausrede der Welt. Die faulste. Die peinlichste.
Allerdings eine, die manchmal funktionierte, wusste Sellitto – je nach Leichtgläubigkeit der Geschworenen.
»Wer wollte Ihnen etwas anhängen?«
»Ich weiß es nicht. Aber es muss ganz offensichtlich jemand sein, der mich kennt.«
»Weil er Zugriff auf Ihre Kleidung, Fasern, Haare und alles mögliche andere hat, um es an den Tatorten zu platzieren.«
»Genau.«
»Gut. Dann dürfte es sich um eine kurze Liste handeln. Nennen Sie mir ein paar Namen.«
Weir schloss die Augen. »Mir fällt niemand ein.« Sein Kopf sackte nach vorn. »Das ist wirklich frustrierend.«
Sellitto hätte es auch nicht treffender ausdrücken können.
Dieses Spiel ging noch eine öde halbe Stunde so weiter. Dann hatte der Detective einfach keine Lust mehr. Wütend musste er daran denken, dass er bald zu seiner Freundin nach Hause fahren würde, wo schon das Abendessen auf ihn wartete – ironischerweise Truthahn, genau wie eines der Gerichte an jenem Tag im Riverside Inn –, während Officer Larry Burke nie wieder zu seiner Frau zurückkehren konnte. Er ließ die Maske des freundlichen, aber beharrlichen Vernehmungsbeamten fallen. »Ich will Sie nicht mehr sehen«, murmelte er.
Dann brachte er den Gefangenen zusammen mit einigen Kollegen zum zwei Blocks entfernt gelegenen Untersuchungsgefängnis und ließ ihn wegen Mordes, Mordversuchs, tätlicher Bedrohung und Brandstiftung in Gewahrsam nehmen. Sellitto warnte die Justizbeamten dort eindringlich vor den besonderen Fähigkeiten des Mannes, woraufhin diese beteuerten, Weir werde in einem Hochsicherheitsbereich untergebracht, aus dem ein Ausbruch praktisch unmöglich sei.
»Ach, Detective Sellitto?«, rief Weir ihm hinterher.
Er drehte sich um.
»Ich schwöre bei Gott, dass ich unschuldig bin«, keuchte Weir und klang dabei aufrichtig reuevoll. »Wenn ich mich ein wenig ausgeruht habe, fällt mir vielleicht etwas ein, das Ihnen bei der Suche nach dem wahren Mörder hilft. Ich möchte Sie nach Kräften unterstützen.«
Unten in der »Gruft« packten zwei Wärter den Häftling an beiden Armen und ließen ihn mit kleinen Schritten zum Registrierschalter voranschlurfen.
Er sieht gar nicht gefährlich aus, dachte Justizbeamtin Linda Welles. Er war kräftig, das merkte sie sofort, aber längst nicht so einschüchternd wie manche der Bestien, mit denen sie es hier zu tun bekamen, diesen Kids aus Alphabet City oder Harlem, deren perfekte stahlharte Körper sogar durch große Mengen Crack, Heroin und Bier nicht außer Form gerieten.
Nein, sie konnte wirklich nicht begreifen, warum man so viel Aufhebens um diesen mageren alten Kerl machte. Weir, Erick A.
»Halten Sie ihn stets fest, und lassen Sie seine Finger nicht aus den Augen. Und unter keinen Umständen dürfen Sie ihm die Handschellen abnehmen.« Das waren Detective Sellittos Worte gewesen. Aber der Verdächtige sah einfach nur traurig und müde aus und litt unter Atembeschwerden. Sie fragte sich, woher wohl die Narben an Hals und Händen stammten. Von einem Feuer oder von heißem Öl. Der Gedanke an den Schmerz ließ sie erschaudern.
Welles erinnerte sich, was er zuletzt zu Detective Sellitto gesagt hatte.
Ich möchte Sie wirklich nach Kräften unterstützen
. Weir war ihr in diesem Moment wie ein Schulkind vorgekommen, das seine Eltern enttäuscht hatte.
Trotz Detective Sellittos Befürchtungen ließ der Häftling sich anstandslos fotografieren und die Fingerabdrücke abnehmen. Wenig später war er wieder an Händen und Füßen gefesselt. Welles und Hank Gersham, einer ihrer hoch gewachsenen Kollegen, nahmen ihn jeweils an einem Arm und bogen auf den langen Korridor zum Zellentrakt ein.
Welles hatte hier schon Tausende von Kriminellen begleitet und ließ sich längst nicht mehr von ihren Ausflüchten, den Protesten und Tränen beeindrucken. Doch die traurigen Worte, die Weir an Sellitto gerichtet hatte, gingen ihr zu Herzen. Vielleicht war er tatsächlich unschuldig. Er sah überhaupt nicht wie ein Mörder aus.
Weir zuckte zusammen, und Welles lockerte leicht den Schraubstockgriff um seinen Arm.
Einen Augenblick später stöhnte der Gefangene auf und taumelte. Sein Gesicht war
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