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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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darbieten – sowie einige Nummern, die teils von mir, teils von ihr entwickelt wurden. Seien Sie nicht überrascht…« Ein dämonischer Blick, der nur Rhyme zu gelten schien »…oder
schockiert
 über das, was nun folgt. Und jetzt, Ladys und Gentlemen… hier ist sie… Kara.«
    Rhyme hatte beschlossen, sich wie ein Wissenschaftler zu verhalten. Er würde es genießen, Karas Methoden zu durchschauen, ihre Tricks zu analysieren, zu ergründen, wie Karten und Münzen verschwanden und wie sie ihre diversen Kostüme am Leib verborgen hatte. Bislang lag Kara bei diesem Spiel noch mehrere Punkte in Führung, obwohl ihr zweifellos nicht bewusst war, dass sie an einer Partie
Fang den Zauberer
teilnahm.
    Die junge Frau kam hinaus auf die Bühne. Sie trug einen engen schwarzen Einteiler mit einem halbmondförmigen Ausschnitt auf der Brust und darüber ein schimmerndes durchsichtiges Gewand, das an eine transparente römische Toga erinnerte. Rhyme hatte Kara bis jetzt nicht als sonderlich attraktiv oder gar sexy empfunden, aber dieses hautenge Kostüm war sehr sinnlich. Sie bewegte sich so grazil und geschmeidig wie eine Tänzerin, blieb stehen und ließ den Blick langsam über das Publikum wandern, als wolle sie jeden der Leute einzeln ansehen. Die Spannung wuchs. Dann endlich: »Verwandlung«, sagte sie in theatralischem Tonfall. »Verwandlung… Wie sehr sie uns fasziniert. Alchemie – aus Blei und Zinn wird Gold…« Sie hielt eine Silbermünze hoch, schloss die Hand darum, öffnete sie sofort wieder, enthüllte dabei eine Goldmünze und warf diese in die Luft, wo sie zu einem goldenen Konfettiregen wurde.
    Ein lautes Ah ertönte, und die Zuschauer applaudierten.
    »Nacht…« Das Licht ging schlagartig ganz aus und wurde gleich darauf – nach nur wenigen Sekunden – wieder hochgefahren. »…wird zu Tag.« Kara trug nun ein genauso eng anliegendes Kostüm wie vorher, allerdings war es golden, und der Ausschnitt auf der Vorderseite besaß den Umriss einer Sonne. Die Geschwindigkeit des Kleiderwechsels ließ Rhyme unwillkürlich auflachen. »Leben…« Eine rote Rose tauchte zwischen ihren Fingern auf. »…wird zu Tod…« Sie umschloss die Rose mit beiden Händen und verwandelte sie in eine vertrocknete gelbliche Blume. »…und wieder zu Leben.« Der abgestorbene Stängel war irgendwie durch einen frischen Blumenstrauß ersetzt worden. Kara warf ihn einer entzückten Frau im Publikum zu. »Die sind ja echt!«, hörte Rhyme sie verblüfft flüstern.
    Kara ließ die Hände sinken und blickte erneut mit ernster Miene über das Publikum hinweg. »Es gibt ein Buch«, sagte sie, und ihre Stimme erfüllte den ganzen Raum. »Ein Buch, das vor zweitausend Jahren von dem römischen Dichter Ovid geschrieben wurde. Der Titel lautet
Die Metamorphosen
. Eine Metamorphose – so wie bei einer Raupe, die…« Sie öffnete die Hand, und ein Schmetterling flatterte empor und verschwand hinter der Bühne.
    Rhyme hatte in der Schule vier Jahre Lateinunterricht gehabt und wusste noch, wie er damals mühevoll einige Passagen aus Ovids Buch übersetzen musste. Seiner Erinnerung nach handelte es sich um eine Folge von vierzehn oder fünfzehn kurzen Sagenerzählungen in Gedichtform. Was hatte Kara vor? Wollte sie einen Vortrag über klassische Literatur halten? Und das bei einem Publikum aus Anwältinnen und ihren Kindern, die nur Computerspiele im Kopf hatten (wenngleich ihm nicht entging, dass alle halbwüchsigen Jungen wie gebannt auf das enge Kostüm starrten).
    »
Die Metamorphosen
…«, fuhr Kara fort. »Es ist ein Buch über Verwandlungen. Über Menschen, die zu anderen Menschen werden, zu Tieren, Bäumen, leblosen Objekten. Manche von Ovids Geschichten sind tragisch, andere fesselnd, aber alle haben sie eines gemeinsam.« Sie hielt inne und rief dann: »Magie!« Und mit einem Lichtblitz verschwand sie in einer Rauchwolke.
    Während der nächsten vierzig Minuten bezauberte Kara das Publikum mit einer Reihe von Illusionen und Taschenspielereien, die auf einigen der Dichtungen aus Ovids Buch basierten. Was Karas Methoden anbelangte, so gab Rhyme sein Vorhaben vollständig auf. Es stimmte, die dramatische Präsentation nahm ihn rundum gefangen. Aber sogar wenn er sich kurzzeitig davon freimachen konnte und sich auf Karas Hände konzentrierte, gelang es ihm kein einziges Mal, den Trick zu durchschauen. Nach einem lang anhaltenden, begeisterten Beifall und einer Zugabe, in deren Verlauf Kara sich in eine gebeugte Greisin und wieder

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