Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Teilnahme an der Royal Command Variety Performance ins Londoner Hippodrom eingeladen wurde.
Sie heißt…
Nein, lieber nicht…
Nein, verehrtes Publikum. Ich glaube, ich erhalte die Spannung noch ein wenig aufrecht und verrate den Namen vorerst nicht. Aber ich gebe Ihnen einen Hinweis: Immer wenn Selbit diese Nummer aufführte, ließ er seine Assistenten vor dem jeweiligen Theater falsches Blut in die Rinnsteine schütten, damit die Passanten neugierig wurden und Eintrittskarten kauften. Was selbstverständlich stets der Fall war.
Haben Sie nun viel Spaß bei der Vorstellung.
Ich hoffe, Sie werden sich gut unterhalten.
Mit Ausnahme einer bestimmten Person, die alles andere als begeistert sein dürfte.
…Zehn
Wie lange habe ich geschlafen?, überlegte der junge Mann.
Das Stück war um Mitternacht zu Ende gewesen. Danach hatten sie im White Horse ein paar Drinks gekippt. Um drei Uhr war er zu Hause eingetroffen und hatte dann vierzig Minuten mit Bragg telefoniert, nein, eher eine Stunde. Und um halb neun musste dieser bescheuerte Klempner mit seinem dämlichen Hämmern anfangen.
Also, wie viele Stunden Schlaf waren das?
Doch Tony Calvert bekam sogar diese simple Rechenaufgabe nicht hin und beschloss, dass es vermutlich besser war, sich das Ausmaß der eigenen Erschöpfung gar nicht erst vor Augen zu führen. Wenigstens hatte er eine Anstellung am Broadway und konnte daher auf die Werbeaufnahmen verzichten, die bisweilen – Himmel hilf! – um sechs Uhr morgens begannen. Die Nachmittagsschicht im Gielgud Theater war ein netter Ausgleich dafür, dass er samstags und sonntags arbeiten musste.
Er inspizierte sein Handwerkszeug und kam zu dem Schluss, dass er mehr Schminke zum Verdecken der Tätowierungen benötigte. Heute war der Kerl mit dem markanten Kinn an der Reihe, und die Damen aus Teaneck und Garden City würden womöglich die Glaubwürdigkeit des Hauptdarstellers anzweifeln, wenn dieser einerseits das naive Starlet anschmachtete und andererseits auf seinem stattlichen Bizeps »In ewiger Liebe – Robert« zu lesen stand.
Calvert klappte den großen gelben Schminkkoffer zu und schaute in den Spiegel neben der Tür. Er sah besser aus, als er sich fühlte, das ließ sich nicht leugnen. Auch mehrere Wochen nach dem herrlichen Urlaub auf St. Thomas war seine Haut immer noch leicht gebräunt. Und seine sportliche Statur täuschte über das jämmerlich flaue Gefühl im Magen hinweg. (Um Gottes willen, in Zukunft höchstens vier Biere. Okay?
Hallo
, geht das in deinen Schädel?) Die Augen? Ja, ziemlich gerötet. Aber das ließ sich leicht in den Griff bekommen. Ein Visagist kannte Hunderte von Möglichkeiten, um Alte jung aussehen zu lassen, Unscheinbare in Schönheiten zu verwandeln und Müdigkeit durch Munterkeit zu ersetzen. Er verabreichte sich ein paar Augentropfen und griff dann zu seiner Geheimwaffe gegen dunkle Ringe – ein oder zwei schwungvolle Striche mit einem Abdeckstift.
Calvert zog die Lederjacke an, schloss die Tür ab und ging den Flur des Apartmentgebäudes hinunter. Jetzt, wenige Minuten vor zwölf, herrschte fast völlige Stille. Die meisten seiner Nachbarn, so vermutete er, schliefen entweder ebenfalls noch ihren Rausch aus oder waren draußen im East Village unterwegs und genossen das erste schöne Frühlingswochenende dieses Jahres.
Er benutzte wie immer den Hinterausgang und gelangte auf die Gasse hinter dem Haus. Bis zur Straße waren es ungefähr zwölf Meter, und gerade als Tony losging, registrierte er in einer der seitlich abzweigenden Nischen eine Bewegung.
Er blieb stehen und spähte ins Halbdunkel. Ein Tier. Herrje, etwa eine Ratte?
Nein – es war eine Katze, die sich anscheinend verletzt hatte. Calvert sah sich nach einem möglichen Eigentümer um, aber die Gasse war menschenleer.
Ach, das arme Ding!
Tony war genau genommen kein großer Tierfreund, aber er hatte letztes Jahr vorübergehend auf den Norwichterrier eines Nachbarn aufgepasst. Nun erinnerte er sich daran, was der Mann ihm damals für den Fall der Fälle eingeschärft hatte: Die Praxis von Bilbos Tierarzt lag gleich um die Ecke bei der St.-Marks-Kirche. Er würde die Katze auf dem Weg zur U-Bahn dort abgeben. Vielleicht hätte ja auch seine Schwester Interesse. Sie adoptierte Kinder. Wieso nicht auch Katzen?
In dieser Gegend empfahl es sich kaum, zu lange in einer Gasse zu verweilen, aber Calvert sah, dass auch weiterhin niemand in der Nähe war. Er schob sich langsam vor, um das Tier nicht zu
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