Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
zuvorzukommen.«
»Um den Kerl aus seinem Versteck zu locken«, fügte Bell hinzu. »Kara hat eine Ketchupflasche genommen, sich mit dem Zeug bespritzt, laut geschrien und sich zu Boden fallen lassen.«
Kara schlug die blaue Jacke auf, so dass man den großen roten Fleck auf ihrem ärmellosen Oberteil sehen konnte.
»Wir mussten befürchten, dass manche Leute auf dem Marktplatz ganz schön verstört sein würden…«, fuhr der Detective fort.
Wem sagst du das?, dachte Amelia.
»…aber das war immer noch besser, als wenn der Hexer wirklich jemanden umgelegt hätte.«
Bell sah anerkennend zu Kara. »Es war ganz allein ihre Idee. Alle Achtung.«
»Ich bekomme langsam ein Gefühl dafür, wie er denkt«, sagte die junge Frau.
»Herrje.« Sachs stellte fest, dass sie zitterte. »Es war so real.«
Bell nickte. »Sie kann sich prima tot stellen.«
Sachs drückte Kara an sich. »Aber ab jetzt bleibt ihr in meiner Nähe oder haltet mich zumindest auf dem Laufenden«, sagte sie streng. »Ich bin zu jung für einen Herzinfarkt.«
Sie warteten noch einen Moment, aber es kam keine Meldung herein, der Täter sei im näheren Umkreis gesichtet worden.
»Sie können sich den Tatort hier vornehmen, Amelia«, sagte Bell. »Ich werde das Opfer befragen. Mal sehen, ob sie uns mehr verraten kann. Wir treffen uns dann beim Marktplatz.«
Auf der Achtundachtzigsten Straße stand ein Bus der Spurensicherung geparkt. Sachs ging hin und suchte sich die notwendige Ausrüstung zusammen, als plötzlich eine Stimme aus dem baumelnden Lautsprecher ihres Funkgeräts ertönte und sie zusammenzucken ließ. Sie nahm das Headset vom Gürtel und stöpselte es in das Motorola ein. »Fünf Acht Acht Fünf, bitte wiederholen. Kommen.«
»Sachs, was, zum Teufel, geht da vor? Erst heißt es, ihr hättet ihn erwischt, und jetzt ist er doch wieder weg?«
Sie erzählte Rhyme von dem Trick, mit dem sie den Hexer zur Flucht verleitet hatten.
»Es war Karas Idee, einen Mord vorzutäuschen? Hmm.« Aus dem Mund von Lincoln Rhyme bedeutete dieses letzte Geräusch – eigentlich eine Art Knurren – ein großes Lob.
»Aber er ist verschwunden«, fügte Sachs hinzu. »Und den Officer können wir auch nicht finden. Vielleicht hat er die Verfolgung aufgenommen, doch wir wissen es nicht. Roland befragt die Frau, die wir gerettet haben. Eventuell kann sie uns weiterhelfen.«
»Okay, also gut, dann mach dich an die Arbeit, Sachs.«
»Wir haben hier mehrere Tatorte«, gab sie missmutig zu bedenken. »Das Café, den Tümpel und die Gasse. Verdammt viel auf einmal.«
»Aber ganz und gar nicht«, widersprach er. »Wir haben dreimal die Chance, richtig gute Spuren zu finden.«
Rhyme behielt Recht. Die drei Schauplätze hatten eine Menge brauchbarer Hinweise hergegeben.
Die Arbeit war Amelia nicht leicht gefallen, wenngleich aus einem ungewöhnlichen Grund: Der Hexer hatte ihr Gesellschaft geleistet – besser gesagt sein Phantom. Es war in der Nähe geblieben und hatte Sachs häufig dazu veranlasst, innezuhalten und nach der Waffe zu greifen, sich umzudrehen und sicherzugehen, dass der Mörder nicht hinter ihr Gestalt angenommen hatte.
Lass dir keine Einzelheit entgehen, aber pass auf dich auf.
Tatsächlich gesehen hatte sie dabei niemanden. Doch auch Swetlana Rasnikow war ahnungslos geblieben, bis der Mörder das schwarze Tuch abgelegt und sich aus dem Schatten auf sie gestürzt hatte.
Tony Calvert war zu der Spielzeugkatze in der Gasse gegangen, ohne zu bemerken, dass der Hexer sich hinter dem Spiegel versteckte.
Und sogar Cheryl Marston hatte den Mann nicht wirklich
gesehen
, obwohl sie ihm in das Café gefolgt war, um eine Weile zu plaudern. Sie hatte eine vollkommen andere Person wahrgenommen und zu keinem Zeitpunkt geahnt, welch schrecklicher Tod ihr zugedacht worden war.
Sachs schritt an den diversen Schauplätzen das Gitternetz ab, schoss erste Digitalaufnahmen und überließ das Terrain dann den Foto- und Fingerabdruckspezialisten. Danach kehrte sie zum Markt zurück und traf sich mit Roland Bell, der unterdessen im Krankenhaus bei Cheryl Marston gewesen war. Natürlich durften sie sich auf nichts von dem verlassen, was der Mörder ihr erzählt hatte (»Ein Haufen verdammter Lügen«, lautete Marstons verbittertes Resümee), doch die Frau konnte sich an so manche Einzelheit erinnern, wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Wirkung der Droge eingesetzt hatte. So lieferte sie ihnen beispielsweise eine gute Personenbeschreibung, einschließlich
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