Der Favorit der Zarin
Kaiserin mit Absicht so eingerichtet, erklärte Alexej Woinowitsch, als Vorkehrung, damit sie nicht als Weib beleidigt würde: Wenn der Kandidat selbst vor der Protassowa nicht erschrak und sich bewährte, dann würde er Ihre Majestät die Zarin nicht enttäuschen.
Aber Vaters Heroismus war vergebens. Ausgerechnet in diesem Moment kehrte der fürchterliche Zyklop in die Hauptstadt zurück und vertrieb den kühnen Offizier nicht nur aus Petersburg, sondern warf ihn auch aus der Garde, und das mit einer solchen Brutalität, dass Vater damals eine Nervenkrankheit bekam, die er später nur unter größten Schwierigkeiten mit Blutegeln und Fliegenpilzen zu kurieren vermochte. Als Mitja noch unverständig war, träumte er nachts oft von dem Zyklopen, einem hinterlistigen Scheusal mit einem einzigen feuerroten Auge, der das Geschlecht der Karpows ausrotten wollte. Erst später, als er Vernunft angenommen hatte und nicht mehr Mitja, sondern Mithridates hieß, erfuhr er, dass es nicht ein griechischer Höhlenriese war, der seinen Vater beleidigt hatte, sondern der Fürst Potjomkin. Vor drei Jahren war der allmächtige Günstling gestorben, und der entlassene Seconderittmeister machte sich schnell in die Hauptstadt auf, doch er konnte sich dort nicht halten und kehrte tränenüberströmt zurück. Der neue Favorit, besagter Surow, saß, wie sich herausstellte, schon fest im Sattel, war blendend schön und zehn Jahre jünger als Vater.
Von blendender Schönheit hatte Mitja mehrfach in Romanen gelesen und dabei gedacht, das sei metaphorisch gemeint. Nun musste er feststellen, dass es die reine Wahrheit war. Fürst Surow blendete wirklich: Im Gesicht und an den Händen funkelte seine Haut wie goldene Sterne – die Augen taten richtig weh davon. Bis zum heutigen Tag war sich Mitja sicher gewesen, dass sein Vater Alexej Woinowitsch Karpow der schönste Mensch auf Erden war, doch nun kamen ihm auf einmal Zweifel. Und gleich schämte er sich wieder dafür: Würde man Vaters silbrig weiße Weste mit so vielen Brillanten besticken und sein Gesicht und die Hände mit Goldpuder einreiben, dann wäre noch die Frage, wer schöner wäre.
»Noch eine Partie?«, fragte Mütterchen Katharina die Zarin nicht den Großfürsten oder die Großfürstin, sondern Surow.
Der Favorit streckte sich, gähnte gelangweilt, ohne die Hand vor den Mund zu halten, und ließ seine blitzenden geraden, mit Perlmutt gefärbten Zähne sehen.
»Ich bin’s leid.«
Und ohne die Reaktion der Kaiserin abzuwarten, erhob sich Seine Hoheit sofort. Ein älterer Diener kam angetrippelt und fegte die Karten und das Spielgeld mit einer schnellen Handbewegung geschickt auf ein silbernes Tablett.
Die Kaiserin zupfte dem Fürsten zärtlich seine Spitzenmanschette zurecht.
»Beliebt Ihr, Schach spielen zu wollen, mein Freund?«
Wieder stupste ihn der Vater von hinten mit dem Finger, um ihm einzuschärfen, dass es gleich losginge und er aufpassen solle.
Ein anderer Diener brachte schon das wunderbare Schachbrett aus Elfenbein und Ebenholz; ein dritter stellte rasch die Figuren auf, die weißen für Ihre Majestät, die schwarzen für Seine Hoheit.
Die Höflinge näherten sich und stellten sich respektvoll in einem Halbkreis um den Tisch auf; bei dem Kartenspiel vorhin hatten sie es nicht gewagt, näher zu treten. Vater nutzte die Umgruppierung als Deckung und nahm Mitja auf den Arm, damit er ungehindert über die gepuderten Nacken und die Damenfrisuren gucken und die Schlacht beobachten könne.
Jetzt, da der Enkel und seine Gattin aufgestanden waren, saß außer den beiden Spielern nur noch ein erstaunlich hässlicher Mann am Tisch. Mitja hatte ihn schon vorher betrachtet und versucht herauszufinden, wer er war, warum er sich von allen absonderte und wieso sein Gesicht zuckte. Er war wirklich potthässlich: er hatte eine platte Nase, seine Stirn war von Beulen verunstaltet, und er hatte eine Glatze – wie ein Totenkopf sah er aus. Auf der Weste des unschönen Mannes funkelte ein Stern, aber zu welchem Orden der gehörte, wusste Mithridates nicht, denn er interessierte sich nicht für äußerliche soziale Auszeichnungen – das waren Dummheiten, welche die Aufmerksamkeit eines vernunftbegabten Individuums nicht wert waren. Trotz des Ordens sah es nicht so aus, als sei der Mann mit der platten Nase eine einflussreiche Person. Er saß mutterseelenallein da, keiner beachtete ihn, und alle, die in seiner Nähe standen, hatten sich von ihm abgewandt. Er ist wohl ein Krüppel
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