Der Favorit der Zarin
und kann nicht stehen, schloss Mitja voll Mitleid, zumal er nun auch noch sah, dass dieses Scheusal einen Stock in der Hand hatte. Na gut, überlassen wir diesen Invaliden Gott.
Hinter die Kaiserin stellte sich ein schwarz gekleideter alter Mann. Sogar seine Perücke war schwarz und glich so denen, die man unter Peter dem Großen getragen hatte. Der Alte war der einzige Mann, der eine lockige Perücke hatte, die anderen benutzten keine fremden Haare, sondern puderten ihre eigenen, wie es der neuen Mode entsprach. Er sieht aus wie ein Rabe unter Papageien, dachte Mitja von dem schwarzen Mann, der sich zwischen den rauschenden Gewändern, goldbestickten Westen und farbenprächtigen Fräcken seltsam ausnahm. Nur sein Gesicht hatte nichts von einem Raben, sondern glich eher dem eines Hundes, genauer, eines englischen Mopses: die Lefzen hingen schlaff zu den Seiten herab, die untere Lippe war über die obere gestülpt, die Nase war verschwindend klein, aber die Augen huschten wie kleine Knöpfe blitzschnell hin und her.
Bevor die Zarin den ersten Zug machte, beugte sich der Mops zu ihr hinunter und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
»Das weiß ich selber, dazu brauch ich Euch nicht, mein Herr«, antwortete sie stirnrunzelnd und rückte den Bauern von e2 nach e4. »Prochor Iwanowitsch, Ihr solltet Euch etwas weniger rohe Zwiebeln zu Gemüte führen.«
Der Alte lächelte verlegen und sagte:
»Ihr wisst doch, Mütterchen, der Volksmund sagt: › Gegen der Wehwehchen sieben / helfen sicher nur die Zwiebeln. ‹ «
Eine Reaktion auf den lustigen Spruch blieb aus, der Mops ließ von ihr ab, entfernte sich aber nicht. Auch mit diesem hatte Mitja Mitleid. Ein ehrenwerter Mann, der besser zu Hause bei seinen Enkeln säße, als den Hals zu recken und sich auf die Zehenspitzen zu stellen.
Der Favorit dachte lange nach und zog das rechte Pferd. Aha, er will die Karlsbader Eröffnungspartie ausprobieren. Wie interessant! Aber nachdem die Kaiserin einen weißen Läufer vorgerückt hatte, knallte Seine Durchlaucht einen Bauern auf h5, und es wurde klar: Das hatte nichts mit der Karlsbader Eröffnung zu tun, sondern Surow ging ohne Sinn und Verstand, wie es gerade kam. Was war denn das für ein Spiel? Mitja hatte keine Lust, weiter zuzusehen.
In der Ecke hörte man ein Krachen. Ein paar Höflinge drehten sich um, doch als sie sahen, dass der Stock des Krüppels mit der platten Nase hingefallen war, verloren sie sofort das Interesse an diesem kleinen Zwischenfall. Der Arme konnte seine Krücke (die übrigens wunderschön war: Mahagoni mit einem Goldknauf) nicht alleine aufheben und rührte sich nicht, nur seine dünne Lippe zuckte.
Mitja wollte hinlaufen und ihm den Stock reichen, aber Vater hielt ihn am Rockschoß fest und zischte: »Das ist doch der Thronfolger!«
Ach so, der war das also. Seine Kaiserliche Majestät, der Sohn der Kaiserin höchstpersönlich. Er hatte aber auch keinerlei Ähnlichkeit mit den Porträts, die es von ihm gab – zwar führten diese nicht gerade eine Schönheit vor, aber er wirkte auf ihnen wenigstens erhaben und wichtig. Ob er früher so ausgesehen hatte, als er noch nicht gelähmt war? Aber warum half ihm denn keiner? Oder galt das als Verstoß gegen das Zeremoniell?
Nein, der schwarz gekleidete Mops löste sich lautlos von dem illustren Tisch, eilte zu dem Thronfolger, bückte sich, reichte ihm den heruntergefallenen Stock und verneigte sich ehrerbietig.
Der reglos Dasitzende blickte, wie es schien, verwundert den Helfer an, dankte ihm aber nicht und nickte ihm noch nicht einmal zu – im Gegenteil, er reckte den Kopf in die Höhe. Der herrliche Alte hielt sich nicht länger bei dem Invaliden auf, sondern kehrte sofort an seinen alten Platz zurück – und kam gerade recht. Die Kaiserin drehte sich um und fragte:
»Prochor Iwanowitsch, soll ich dem Fürsten den Turm wegnehmen oder nicht?«
»Na klar, müsst Ihr ihn wegnehmen, Eure Majestät.«
Aber was sollte das denn überhaupt für einen Sinn haben? Surow war doch längst schachmatt.
»Ist der Sohn der Zarin körperlich geschwächt?«, fragte Mithridates flüsternd seinen Vater.
»Nein, das macht er aus Wichtigtuerei. Pass auf das Spiel auf.«
Das fehlte gerade noch.
Mitja drehte den Kopf nach rechts und nach links, um die Kleine Eremitage in Augenschein zu nehmen.
An der Wand hing ein Riesenbild: Leda, in Gestalt eines Schwans in leidenschaftlicher Pose mit Jupiter vereint. Ein anderes Bild, etwas kleiner: eine Jungfrau oder vielleicht
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