Der Favorit der Zarin
nicht unverzüglich das nötige Medikament bekommt, wird er seine eigene Person und die Zukunft Russlands zugrunde richten. Also seid ihm doch dabei behilflich, dass er diese Kleinigkeit bekommt!« Metastasio beugte sich zu dem Fürst hinunter und packte ihn am Ellenbogen. »Das steht doch in Eurer Macht! Ich werde verrückt, wenn ich mir überlege, von welchen Lappalien das Schicksal der Großmacht abhängt! Und Euer eigenes Schicksal und das meinige ebenfalls.«
»Meins und Eures?«, fragte der Gouverneur verwundert.
»Ja, darum geht es ja! Glaubt Ihr etwa, ich denke nur an mein eigenes Schicksal? Natürlich denke ich zuerst an mich. Und wenn der schlimmste Feind meines Gönners an die Macht kommt, werde ich ein trauriges Los haben. Aber auch Euch wird es dann nicht gut gehen. Eure Konflikte mit Osorowski sind bekannt. Osorowski wird von Prochor Maslow protegiert, dem einzigen Höfling, der dem Thronfolger Respekt entgegenbringt. Der Chef der Geheimexpedition setzt auf den Mann in Gatschina, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche! Hört auf jemand, der gut informiert ist: Osorowski will Euch loswerden, er schreibt verheerende Berichte über Euch, und wenn Ihr Euch bisher noch in Eurem Amt habt halten können, dann nur dank Platon Alexandrowitschs Sympathie für Euch. Wenn die Partei des Thronfolgers siegt, droht Euch die unverzügliche Entlassung, und Ihr fallt in Ungnade.«
David Petrowitsch nestelte an seiner Krawatte, als bekäme er auf einmal keine Luft mehr.
»Ich . . . ich muss mich mit meinen Freunden beraten . . .«
»Nehmt Euch besser uns zum Freund, dann liegt Euch ganz Moskau zu Füßen. Die Stadt braucht die starke Hand eines aufgeklärten Herrschers. Na, was sagt Ihr dazu?«
David Petrowitsch schwieg.
Er wird nicht standhalten, er wird umkippen, fürchtete Mithridates.
Hinter seinem Rücken, im Kamin, knackte es laut; Mitja zuckte unwillkürlich zusammen.
Ach!
Der Schirm wackelte, krachte donnernd zu Boden, und vor den Politikern, die sich umgedreht hatten, stand ein kleiner Junge mit schreckensstarren Augen.
»Impossibile!«, raunte Metastasio. »Was macht der denn hier?«
Offenbar hatte der besiegte Pikin ihm nur von Daniel, nicht aber von Mithridates erzählt. Hatte der Hauptmann also doch noch ein Herz?
»Das ist Mitja, ein Zögling meiner Nichte«, beruhigte der Hausherr den Petersburger. »Er ist noch ein Kind, keine Angst. Er hat Verstecken gespielt. Geh, mein Herz, und renn woanders rum. Du siehst ja, wie wir mit diesem Herrn . . .«
Der Italiener sprang flink auf und näherte sich Mitja.
»Aaah!!!«
An seinem Schrei beinah erstickend, stürmte Ritter Mithridates an der Wand entlang und schoss wie eine Kugel hinter die Tür.
Wie er die Zimmerflucht hinter sich gebracht hatte, wusste er wenig später selber nicht mehr. Er stürzte in die Bibliothek mit dem Schrei:
»Daniel! Er hat mich gesehen!«
Vondorin und Pawlina, die Seite an Seite auf einem Sofa saßen, sahen sich erstaunt nach ihm um.
»Wer denn?«, fragte Daniel zerstreut; er sah aus, als hätte er seinen kleinen Freund nicht gleich auf Anhieb erkannt.
»Metastasio! Er wollte mich packen! Er wird nie aufgeben! Auch den Fürsten David Petrowitsch führt er hinters Licht, dieser Intrigant! Mon Dieu, je suis perdu!«
Die Gräfin stieß einen gellenden Schrei aus und blickte erschrocken auf Mithridates.
Er wollte näher an sie herangehen, aber da kreischte sie noch schlimmer auf und fuchtelte mit den Händen.
»Einen Moment, mein Freund«, sagte Daniel zu ihm. »Ein hysterischer Anfall. Eure plötzliche Redekunst hat Pawlina Anikitischna einen Schrecken eingejagt. Gleich, gleich. Es gibt ein Mittel. . .«
Er verpasste der Gräfin eine schallende Ohrfeige, woraufhin diese sofort den Mund hielt und nicht mehr Mitja, sondern den Schläger fassungslos ansah. Ihr Mündchen zuckte, aber bevor sich ihm ein neues Geheul entreißen konnte, beugte sich Daniel über sie und gab ihr einen Kuss, zuerst auf die getroffene Stelle und dann auf ihre Lippen, wodurch er verhinderte, dass sie wieder schrie.
Das Mittel war in der Tat wirksam. Die Hand der Gräfin fuhr ein wenig in der Luft herum, fiel dann auf Daniels Schulter und blieb dort liegen.
»Na also«, sagte er und befreite sich (nicht ohne Mühe, denn zu dem einen Arm, den sie ihm um die Schulter gelegt hatte, war ein zweiter hinzugekommen). »Und jetzt erkläre ich Euch alles, Pawlina Anikitischna.«
Und er klärte sie über alles auf – kurz und mit der nötigen
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