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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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einem Bein hüpfte. »Wohin willst du denn?«
    In der Waffenkammer, wo verschiedene Krummsäbel die bunten Wandbehänge verzierten, traf er endlich auf ein lebendes Wesen: Ein Diener war damit beschäftigt, einen runden, höckerigen Schild mit Kreide auf Hochglanz zu polieren.
    Mitja brüllte: »Er will mich umbringen!«, und stürzte mit einem Hilfeschrei zu ihm.
    Aber da tauchte der Hausherr in der Türöffnung auf. Er schnauzte den Diener an, und sofort war der wie vom Erdboden verschwunden. Sonst begegnete Mitja niemand vom Gesinde. Ob sie sich versteckt hatten?
    Und wo war Daniel? Hörte er denn nicht, wie er rief?
    Er hatte keine Kraft mehr zu schreien, er bekam nur noch so viel Luft, dass er mit einem Satz den leeren Raum überwinden konnte, dann an der Klinke hing und zu Gott flehte: das nächste Zimmer möge bloß nicht zu schmal sein.
    Aber die Katastrophe lauerte nicht da, wo er sie vermutete.
    Nachdem er glücklich einen großen Saal durchquert hatte (er hatte ihn vorher schon einmal gesehen, hatte aber jetzt keine Augen für ihn), wollte Mitja die Tür öffnen, begriff aber nicht gleich, dass sie sich nicht öffnen ließ; sie war abgeschlossen oder verriegelt. Als er endlich verstand, war keine Zeit mehr für ein Ausweichmanöver: der Verfolger war ihm dicht auf den Fersen, und in der Hand hatte er nicht mehr den Stock, sondern einen riesigen türkischen Dolch – er musste ihn von der Wand genommen haben.
    In seiner Verzweiflung hämmerte Mitja mit den Fäusten gegen die tückische Tür. Doch was sollte das schon bringen?
    Ganz dicht hinter sich hörte er jemand murmeln:
    »Stärke mich, Herr, gib mir Kraft.«
    Gleich, gleich . . . Er musste nur noch die Augen zusammenkneifen.
    Das Eisen des Türriegels klirrte, die Tür öffnete sich.
    Auf der Schwelle stand Daniel: im Hemd, mit offener Hose und nacktem Fuß. Er musste geschlafen haben! Während sein Freund in Lebensgefahr schwebte, hatte er sich aufs Ohr gelegt!
    Hinter Daniels Rücken hörte man ein Rascheln, als liefe jemand leicht bekleidet und ebenfalls barfuß durchs Zimmer, aber Mitja hatte jetzt keine Lust zum Rätselraten.
    »Schon wieder!«, keuchte er mit letzter Kraft und schlang seinem ewigen Retter die Arme um den Bauch.
    »Was fällt Euch ein, Fürst?«, schrie Vondorin. »Was jagt Ihr hinter dem Jungen mit einer Waffe hinterher? Dmitri, lass mich durch.«
    Mitja ließ sich fallen und kroch flink zur Seite. Und wenn Dolgoruki nun über Daniel herfiele?
    Nein, die Mordlust des Fürsten erstreckte sich nicht auf Vondorin. David Petrowitsch senkte den Dolch und griff sich mit der anderen Hand ans Herz – er war vom Laufen aus der Puste gekommen.
    »Schon wieder?«, wiederholte Daniel. »Hast du gesagt › schon wieder ‹ ? So ist das also. Dann ist es also kein Wahnsinn, da habe ich mich geirrt!«
    Er sprang auf den Gouverneur zu, entriss ihm den Dolch und schleuderte ihn möglichst weit weg, dann packte er Dolgoruki am Revers und schüttelte ihn so sehr, dass ihm das Haarpuder auf den Kragen rieselte.
    »Ihr habt einen Brief von Ljubawin bekommen!«, brüllte Vondorin mit schrecklicher Stimme. »Wieso stört der Kleine euch beide? Hat Metastasio da seine Hände im Spiel? Antworte oder ich schlage dir den Schädel ein!«
    Er schnappte sich einen schmalen Bronzekrug vom Tisch und hielt ihn drohend über den Scheitel des Fürsten.
    »Was hat denn Metastasio damit zu tun?«, krächzte der. »Und was für ein Ljubawin? Ich kenne keinen Ljubawin!«
    »Du lügst, du Schuft! Ich weiß noch, dass ihr alle beide Mitglieder in der Loge › Mitternachtsstern ‹ wart.«
    »Im › Mitternachtsstern ‹ war halb Moskau Mitglied. Die kann man doch nicht alle behalten.« Der Gouverneur wandte kein Auge ab von der Bronze, die unheilverkündend über seinem Kopf funkelte. »Meint Ihr Miron Ljubawin, den Brigadier a. D.? Ja, stimmt, der war dabei. Aber ich schwöre, der hat mir nicht geschrieben . . .«
    Mitja kam es so vor, als ob David Petrowitsch das Wörtchen »der« betont hätte. Auch Vondorin war das aufgefallen.
    »Der nicht? Und wer dann? Und was hat er geschrieben?«
    Als keine Antwort kam, stieß Daniel dem Fürsten das Gefäß gegen die Stirn, nicht mit ganzer Kraft, sondern nur so, dass es einen durchaus angenehmen Klang gab.
    »Na, wird’s bald?«
    »Ihr seid wohl verrückt geworden! Ich kriege ja eine Beule! Ich . . . ich darf es Euch nicht sagen . . . Ihr wart doch auch mal Mitglied, und wie man mir gesagt hat, sogar eins höherer Weihen.

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