Der Favorit der Zarin
Klarheit: über die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Mithridates, über seine Scheu, die ihn zwang, das Kleinkind zu spielen. Er erzählte auch von Mitjas Aufstieg in Petersburg und von seiner erzwungenen Flucht. Nur den Giftanschlag überging er und sagte lediglich:
»Dmitri ist per Zufall Zeuge eines Anschlags geworden, den der Sekretär des Favoriten ausgeheckt hat. Es ist besser, ma chère ami, wenn Ihr die Einzelheiten nicht wisst, denn Informiertheit kann in solchen Dingen tödlich sein. Es reicht, wenn Ihr wisst, dass Metastasio die Absicht hat, den gefährlichen Zeugen, koste es, was es wolle, aus dem Weg zu räumen. Und Dmitri hat Recht: Dieser Mann macht vor nichts Halt. Daraus, dass er von mir als einem toten Mann gesprochen hat«, bei diesen Worten lachte Daniel bitter, »entnehme ich, dass dieser tüchtige Italiener auch mit mir seine Pläne hat. Wenn das stimmt, dann kann den Jungen keiner beschützen. Wir müssen aus Moskau fliehen, ich weiß keinen anderen Ausweg.«
»Lasst uns doch nach Trost gehen, zu meinem Papa!«, rief Mitja. »Das sind nur fünfundzwanzig Werst von hier!«
Und er verstand gleich, dass er eine Dummheit gesagt hatte. Was sollte denn sein Papa gegen den allmächtigen Favoriten ausrichten können?
Pawlina hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und rührte sich nicht. Mitja dachte, sie weinte. Aber als sie die Hände vom Gesicht nahm, waren ihre Augen trocken.
»Es gibt offenbar keine andere Möglichkeit«, sagte sie leise, gleichsam zu sich selbst. »Anders geht es nicht. . .« Sie schüttelte ihre Locken und sprach traurig, aber ruhig, ja, ihrer Sache sicher, weiter. »Redet nicht böse über mich, Daniel Ilarionowitsch, und denkt nicht schlecht von mir. Ich muss den Kelch bis zur Neige trinken. Das ist offenbar mein Schicksal. Aber ich werde einen Preis dafür fordern. Dass weder Euch noch Mitja ein Haar gekrümmt wird.«
Vondorin brüllte:
»So eine Hilfe brauch ich nicht! Da ziehe ich den Tod vor!«
»Und Ihr wollt auch gleich ein Kind mit zugrunde richten, nicht ein einfaches, sondern dieses hier?«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf Mitja; Daniel wusste nichts zu entgegnen. »Ach, mein Herzensfreund, ich habe es mir anders gewünscht, aber Gott hatte andere Pläne . . . Hauptsache, Ihr denkt nicht, ich wäre ein loses Weib.«
»Ihr seid eine Heilige«, flüsterte Vondorin.
Über sein Gesicht strömten Tränen; er wischte sie nicht ab.
»Nein, ich bin keine Heilige«, sagte Pawlina fast ein wenig beleidigt. »Und ich werde Euch das gleich beweisen. Warum soll ich mich jetzt noch zieren? Doch nicht für ihn . . .«
Sie redete nicht zu Ende, sondern blickte auf Mitja.
»Mitja, mein Mäuschen . . .«, sagte sie, schämte sich und korrigierte: »Dmitri, mein Lieber, lass Daniel Ilarionowitsch und mich bitte allein. Wir müssen miteinander reden.«
Aha, allein lassen soll ich sie. Und wohin soll ich gehen? Zurück zu Jeremej Umbertowitsch? Die denken aber auch nur an sich!
Mitja verließ die Bibliothek und schloss die Tür.
Ein Diener löschte die Kerzen an der Wand und ließ immer nur eine brennen. Dann ging er in das Nebenzimmer und machte die Tür zu. Offenbar war das in diesem Haus so üblich: Die Türen der Zimmerflucht wurden zur Nacht geschlossen. Vielleicht, damit es nachts nicht zog, vermutete Mitja.
Er begleitete den Diener und ging mit ihm von Saal zu Saal. In Gesellschaft eines Menschen fühlte er sich sicherer.
Im Esszimmer, in das auch der Quergang auslief, trafen sie den anderen Diener, der Metastasios Ankunft gemeldet hatte.
»Was ist mit dem Besucher?«, fragte Mitja ängstlich. »Ist er immer noch im Salon?«
»Er ist weg«, antwortete der Diener.
Ihm fiel ein Stein von der Seele!
Nun ging er weiter und hatte keine Angst mehr. Er wollte gucken, was David Petrowitsch machte.
Der Fürst war allein im Salon und blickte aufmerksam ins Feuer.
Die Kerzen auf dem Tisch waren erloschen, aber an der Decke prangte ein Riesenlüster für an die hundert Kerzen; davon war es in dem Zimmer hell und gemütlich.
»Ach, du bist es«, sagte Dolgoruki und blickte zerstreut auf den Jungen. »Hast du vor dem fremden Mann Angst bekommen? Er wollte dir doch nur die Hand geben, er will gar nichts Böses. Er hat sich nach dir erkundigt, du hast ihm gefallen. Na, komm schon, komm doch.«
Er packte Mitja an den Schultern und lächelte zärtlich.
»Pawlina liebt dich wie einen eigenen Sohn. Du bist aber auch wirklich ein Goldschatz. Möchtest du in einem
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