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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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so, dass kein Mensch etwas erfährt!«
    »Halt den Mund, Pikin. Du bist ein Idiot, du rennst nur den Nutten nach! Haltet alle beide den Mund! Mein Wunsch hat euch heilig zu sein! Wenn ihr widersprecht, jage ich euch davon. Nein, ich jage euch lieber nicht weg, damit ihr nicht plaudern könnt. Ich werfe euch den Bären zum Fraß vor, ist das klar?«
    Man hörte zornige Schritte – einer ging, die anderen beiden blieben. Sk mussten also noch warten. Zephirka legte ihren Kopf auf Mitjas Schulter und hielt still.
    Unten wurde geschwiegen.
    »Und was nun, Pikin?«, fragte der Sekretär Seiner Durchlaucht langsam. »Ihr seht ja selber, unser Hahnrei hat völlig den Verstand verloren. Das Weitere ist klar. Man wird ihn in flagranti schnappen – Jäger werden sich schon finden – und zum Teufel jagen. Die Alte wird das nie verzeihen. Wir verlieren nur Zeit, Pikin. Habt Ihr nicht morgen Dienst im Palast?«
    »Ja.«
    »Dann schiebt ihr das Fläschchen unter, wie abgesprochen. Die Alte wird daraus trinken und krepieren, aber nicht sofort, sondern etwa zwei Tage später. Sie wird also Zeit haben, ihr Testament zu machen und ihrem Enkel das Szepter zu übergeben. Dann brauchen wir nichts zu befürchten, sondern werden noch mehr Macht haben. Was zuckt Ihr mit dem Schnurrbart? Habt Ihr etwa Angst, mein berühmter Held?«
    Mit der »Alten« war die Kaiserin gemeint, erriet Mitja, und bekam einen ordentlichen Schreck. »Sie wird krepieren.« Wollten sie sie vergiften? Wie Maria Medici es mit der Königin von Navarra getan hat? Diese unsäglichen Schurken!
    »Warum schaut Ihr mir nicht in die Augen, Pikin? Habt Ihr Eure Unterschrift vergessen? Und was wir ausgeheckt haben? Darauf steht lebenslange Zwangsarbeit.«
    »Hört auf, mir Angst einzujagen, das funktioniert bei mir nicht«, murrte der Preobrashenze. »Als ob Ihr mir mit der Zwangsarbeit Angst einjagen könntet. Es ist ja kein Problem, ihr die Flasche unterzuschieben, das Problem ist. . . Die Flasche ist weg.«
    »Wie bitte? Was heißt, ist weg?!«
    »Ich kann mir das auch nicht erklären. Sie war in meinem Schlafzimmer, in meinem Stiefel. Ich habe gedacht, da geht niemand dran. Und heute Morgen gucke ich nach – da ist sie spurlos verschwunden.«
    »Das kann nur Maslow gewesen sein«, sagte der Italiener ächzend. »Er, dieser Rabe, wer sonst? Nur eins ist dann unklar. Warum lauft Ihr noch frei herum? Oder sollte er es nicht rausgekriegt haben? Unwahrscheinlich. Er ist jeden Tag bei der Alten, er kann doch nicht übersehen haben, dass das Fläschchen ganz genauso aussieht. Und wenn . . . Sch-sch-sch! Was ist denn das da? Da oben, auf dem Ofen?«
    Ach, was für ein Unglück! In ihrer Naivität hatte Zephirka Mitja verraten. Sie hatte nicht mehr still sitzen können, raschelte, rutschte herum und klimperte mit einem ihrer Schätze.
    »Eine Maus.«
    »Eine Maus, die klimpert? Ruft jemand vom Personal.«
    »Warum? Ich gucke selber nach. Ich bin entsetzlich neugierig, Jeremej Umbertowitsch.«
    Unten, ganz in der Nähe, polterte etwas; das war Pikin, der nachsah. Er hatte es nicht eilig, dieser Unhold, er sang sich eins mit heiserer Stimme:
    »Der Flügel Amors streift sie nicht
Noch Bogen oder Pfeil
Und Psyche flieht und schreiet nicht –
Als bände sie ein Seil«
    Eine Pranke, an deren Manschette ein Goldknopf blitzte, langte in die Ritze.
    Mitja presste sich an die Wand und hielt den Atem an. Wo sollst du dich da verstecken können, der Hauptmann tastete alles seelenruhig ab.
    Papampapam papampariet Im Einklang ohne Schmerz:
    Die Kette hält, die Kette schmied Die Liebe an ein Herz.

FÜNFTES KAPITEL
    TYRANNENVERNICHTUNG
    (Nabokov, 1936)
    Sobald das Band, das die Seele von Iwan Iljitsch Schibjakin mit dem Leib vereint hatte, gerissen war, stellte sich heraus, dass alles Täuschung war – von Weltuntergang konnte keinerlei Rede sein. Sofort hellte sich der Himmel auf, die schwarzen Wolken wurden wieder weiß, und auch die Sonne dachte nicht daran zu verlöschen. Von wegen – sie schien nur noch heller und beeilte sich, ihre kurze Herbstbahn zu vollenden.
    Als sich die dichte Novemberdämmerung über die Stadt senkte, riss sich Nicholas Fandorin von dem heimelig flimmernden Monitor los, streckte sich und trat ans Fenster.
    Der vom Programmieren benebelten Wahrnehmung erschien Moskau merkwürdig verschwommen, ja – im Computerjargon ausgedrückt – virtuell. Auf den ersten Blick war es die übliche Abendlandschaft: bunte Reklamelichter, die magisch leuchtende Schlange der

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