Der Favorit der Zarin
zurück.« So ein Ding! Gut, und er selber? Er selber war Präsident einer Firma für gute Ratschläge, hatte Halluzinationen und vergeudete eine Unmenge Zeit auf Spiele, die niemand haben wollte.
Er merkte bei dieser idiotischen Beschäftigung nicht, wie schnell die Zeit verging. Das Rätsel mit dem Sergeanten löste er schließlich irgendwie. Er wandte einen Trick an, da bist du platt, oder, wie Valja sagen würde, einen Trick der ultimativen Superobersonderklasse.
Der Sekretär schaute einmal ins Zimmer, er hatte wohl eine Frage, aber Nicholas winkte ab: Verschwinde, ich habe keine Zeit für dich; vor Daniel wollte sich die Tür zum Brillantzimmer partout nicht öffnen. Das Telefon klingelte am laufenden Band, aber da Valja alleine zurechtkam, konnte es nichts Wichtiges sein. Er musste nur einmal drangehen und sprach mit seiner Frau.
»Es brennt«, sagte Altyn, wie stets ohne Einleitung und zärt-liehe Worte, ja sogar ohne guten Tag zu sagen. »Ein Anruf aus Petersburg. Beim GV brennt’s. Der Vorsitzende der Sektion für Notzucht ist krank. Ich muss einspringen. Ich fahre direkt von der Redaktion zum Flughafen. Hol die kleinen Raubtiere aus dem Kindergarten ab. In drei Tagen bin ich wieder da. Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Ja, aber . . .«
»Lass es dir gut gehen.«
Und sie hängte auf. Nicholas’ Frau war entsetzlich schlecht erzogen. Er war längst daran gewöhnt und ließ sich dadurch nicht die Laune verderben, nur manchmal, in philosophischen Augenblicken, wunderte er sich, was sie für ein sonderbares Paar waren: ein zwei Meter langer, räsonierender Schlappschwanz, der in einer Westend-Privatschule erzogen worden war, und ein kleiner fauchender Panther aus den Dschungeln von Beskudniki. Es war nicht zu übersehen, ihr Geschmack war unterschiedlich, das Temperament gegensätzlich, sogar die innere Uhr tickte bei ihnen verschieden: Altyn lebte nach dem Sekundenzeiger, während er die Zeit in Jahrhunderten maß. Warum die junge, starke, siegesgewisse Frau diesen »bekloppten Baronet« (das war die zahmste Variante, wie Altyn ihren Mann nannte, wenn sie wütend auf ihn war) noch nicht zu Mummy Queen (noch ein Ausdruck aus ihrem dynamischen Wortschatz) zurückgeschickt hatte, war Fandorin ein Rätsel, ein unerklärliches Wunder. Gott sei Dank, dass es Wunder auf der Welt gibt; man sollte sie nicht einer chemischen Analyse unterziehen.
Der volle Name der »Sektion für Unzucht« lautete folgendermaßen: Sektion für den Kampf gegen die Unzucht Minderjähriger. Die Sektion war Teil der Allrussischen Gesellschaft zur Verteidigung der Sittlichkeit der Jugend (im Volksmund: GV); einer der Gründer und Sponsoren der Gesellschaft war die Zeitung »Eross«. Diese gesellschaftlichen Verpflichtungen nahm Altyn genauso ernst wie die redaktionelle Arbeit; sie sah keinerlei Widerspruch zwischen diesen beiden Bereichen ihrer Tätigkeit. Auf Nicholas’ sarkastische Bemerkungen antwortete sie: ein ausgefülltes Sexualleben ist kein Hindernis für die Sittlichkeit, und wenn du das mit deinen vierzig Jahren noch nicht kapiert hast . . . Es folgten Beleidigungen.
Die Kinder aus dem Kindergarten abholen? Nicholas hatte doch Valja Glen versprochen, mit IHM in die Music Hall zu gehen. Valja beschäftigte sich schon lange mit modernem Tanz, aber nur zum Spaß, und nun war ER auf einmal auf die Idee gekommen, seine Kräfte auf einer professionellen Bühne zu erproben. In der Music Hall fand ein offenes Casting für eine neue Superproduktion mit dem Titel »Pikbube« statt, und der Mensch der Zukunft war sehr nervös und hatte darum gebeten, ihn moralisch zu unterstützen. Wahrscheinlich hatte er auch deswegen bei Nicholas hereingeschaut: um zu kontrollieren, ob der Chef sich noch an sein Versprechen erinnerte.
Es war jetzt Viertel nach sechs. Der Kindergarten machte um acht Uhr zu, spätestens um halb neun. Er musste sich also beeilen.
Fandorin ging ins Vorzimmer.
Glen stand an dem Fenster, das zum Hof lag, und blickte aufmerksam hinaus. Über die Scheibe glitten außerirdische rotblaue Lichtstreifen. Nicholas wollte wissen, woher sie kamen, und trat zu seinem Assistenten.
Die Mauern des Hofes, die vom Hausmeister in Mondkrater-Farbe gestrichen waren, sahen unheimlich, aber schön aus. Die Fenster strahlten wie Himmelskörper, und unten stand ein Mondauto: ein Milizwagen, der rote und blaue Streifen über die Mauern jagte. Irgendwelche Leute richteten grelle Lichtkegel auf den Boden, und für einen Augenblick tauchten
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