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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
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kommst spät.«
    »Tut mir Leid. Ich war –«
    »Du brauchst mir nichts zu erklären. Aber der Chef war schon hier. Er hat sich nach dir erkundigt.«
    Trojan stieß die Luft aus. »Scheiße.«
    »Schon gut, Nils. Es gibt auch ein Leben jenseits des Verbrechens.«
    »Ach, wirklich? Und wo ist Landsberg jetzt?«
    »Oben auf dem Dach. Bei den Kollegen.«
    Trojan blickte auf die Tote hinab.
    Ihr Haar ist blond, dachte er, eine blonde Trophäe.
    Er kämpfte gegen einen Schwindel an.
    »Wo ist das Mädchen?«, fragte er.
    »Bei den Nachbarn, ein Stockwerk tiefer.«
    »Ist sie ansprechbar?«
    »Versuch es. Stefanie Dachs hat sich um sie gekümmert, aber noch nichts aus ihr herausbekommen.«

    Trojan bahnte sich an den Beamten vorbei einen Weg durch den Flur und stieg in den dritten Stock hinab. Auch hier war die Wohnungstür geöffnet, er hörte ein durchdringendes Wehklagen, kehlige Laute, die er für Arabisch hielt. Er schritt einen langen Flur entlang, vorbei an jammernden Frauen mit Kopftüchern, die ihre Arme in die Höhe warfen. Mehrere Zimmer musste er durchqueren, überall Klageweiber, keine Männer.
    Das Mädchen hockte auf einem Sofa, umringt von weiteren Kopftuchfrauen.
    »Können Sie uns für einen Moment allein lassen?«
    Sie reagierten mit immer lauterem Klagen.
    »Bitte, es ist wichtig.«
    »Das Mädchen«, sagte eine von ihnen, »geht ihr nicht gut. Dürfen nicht stören.«
    Trojan hielt ihr seinen Dienstausweis hin.
    Es dauerte eine Weile, bis er die Frauen halbwegs beruhigen konnte. Sie verließen wild gestikulierend das Zimmer.
    Trojan setzte sich zu dem Mädchen. Sie senkte den Kopf, ihre Hände waren tief in den Kangaruhtaschen ihrer Kapuzenjacke vergraben.
    Er holte tief Luft, suchte nach einem Anfang, da fragte sie mit erstickter Stimme: »Wo ist Jo?«
    Trojan runzelte die Stirn. »Jo?«
    »Kannst du ihn zu mir bringen?«
    Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen.
    »Ist das ein Freund von dir?«
    Sie nickte.
    »Wie sieht er aus?«

    Es verging einige Zeit, bis ihm das Mädchen umständlich erklärt hatte, dass Jo ein Stofftier war.
    »Vielleicht liegt er noch auf meinem Bett. Kannst du ihn mir holen? Ich traue mich nicht nach oben.«
    Trojan nickte. Er eilte zurück in die Wohnung im vierten Stockwerk. In dem Zimmer des Mädchens blickte er sich um. Filzstiftmalereien hingen an der Wand, zeigten eine bunte schöne Welt, da waren Inseln und Palmen und fliegende Fische, Spielzeug lag verstreut auf dem Boden, das Bettgestell war blau angemalt und mit gelben Tupfen verziert, auf dem fliederfarbenen Kissen hockte eine Stoffschildkröte. Er nahm sie auf und trug sie hinunter zu dem Mädchen.
    Sie drückte das Tier an sich.
    »Wie heißt du?«, fragte er nach einer Pause.
    »Lene.«
    »Es ist sehr wichtig, Lene, dass du mir genau erzählst, was du in eurer Wohnung gesehen hast.«
    Das Mädchen schwieg, während es die Schildkröte in den Armen hin und her wiegte.
    »Wer war im Schlafzimmer deiner Mutter? Kannst du mir denjenigen beschreiben?«
    Das Mädchen gab ein Schluchzen von sich.
    »Wo ist meine Mama jetzt?«
    Trojan seufzte.
    »Deine Mama ist –«
    Er brach ab. Herrgott, dachte er, wie soll ich ihr das nur beibringen. Dabei hatte er das Gefühl, dass Lene längst wusste, was mit ihrer Mutter geschehen war.
    Da machte sie eine zuckende Bewegung, und Trojan erkannte
die zwei tiefen Risse an ihrer Kapuzenjacke. Auch das T-Shirt darunter war zerfetzt, und er sah die Striemen auf ihrer Schulter. Er streckte die Hand danach aus, aber Lene wich zurück.
    »Du bist verletzt.«
    Sie schwieg.
    »Wie ist das passiert?«
    Sie schüttelte bloß den Kopf.
    »Wo ist Mama jetzt?«, fragte sie schließlich.
    Dann sackte sie in sich zusammen.

ACHT
    E r erwachte aus einem tiefen, dumpfen Schlaf. Er brauchte eine Weile, bis er sich vergewissert hatte, wo er war, dann schlug er mit der flachen Hand auf den schrillenden Wecker und atmete tief durch.
    Langsam erhob er sich und zog die Vorhänge auf, und da sah er ihn.
    Er hockte im Geäst der Linde vorm Fenster. Sein Gefieder war rötlich, die Partie um die Flügel von einem hellen Blau, die Schwanzfedern dagegen waren schwarz. Er schien direkt zu ihm herüberzuäugen.
    Eine Weile hielt er ganz still, auch Trojan rührte sich nicht. Dann flatterte der Vogel auf und verschwand.
    Trojan überlegte, ob er von der gleichen Art war, die sie bei Coralie Schendel gefunden hatten. Nein, der hier war größer gewesen. Und Melanie Halldörfer? Wieder tauchten die Bilder

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