Der Feigling
ihr
Vater recht behalten, immer.
Er schwieg. Dann trank er einen
Schluck. Noch einen. Er setzte das Glas hin. Langsam hob er den Blick, als
schiene ihm jede Sekunde kostbar, die er gewann. »Bärbel, ich...«
»Würdest du es tun?«
Er sah zur Seite. »Wenn du mich fragst...
nein, ich hab’ doch nie...«
»Du hast nie im Traum daran gedacht.
Ich weiß. Du wiederholst dich. Warum nicht?«
»Ich bin doch viel zu alt... doppelt so
alt wie du... wenn du vierzig bist, fahre ich im Rollstuhl herum...«
»Weiter.«
»Ich... ich bin gar nicht geeignet zu
so was... viel zu lange eingefahren in meine Tour...«
»Viel zu egoistisch.«
»Ja, sicher, auch das. Ich hab’ mich
dran gewöhnt, für mich allein dazusein, wenn du das meinst... ich bin nicht der
Mann dafür, glaub mir das... ich kann das auch finanzlich nicht, finanziell
meine ich...«
Entsetzlich, wie er schwafelte.
»Sieh mal, mit meiner Schreiberei, das
ist eine verflucht unsichere Geschichte... mal kommt was, dann kommt nichts...
nicht jeden Ersten, wie beim Katasteramt... für mich allein langt es, aber
heiraten... da muß ich viel mehr arbeiten, und wenn man schreiben muß, dann
wird es nichts, und man bringt erst recht nichts los... dein Vater würde sich
bedanken. Leute, die nur hinter seinem und deinem Geld her sind, muß er schon
genug gesehen haben... du hast es selber gesagt... möchte nicht auch in den Ruf
kommen.«
»Du bist ein Feigling«, sagte sie. Sie
sagte es ohne besondere Erregung. Das war es. Es war sonnenklar, daß man sich
nicht aufzuregen brauchte.
Er reagierte nicht. Er zuckte nicht
zusammen, wurde nicht bleich. Als hätte sie etwas gesagt, das er längst wußte.
»Das ist möglich, Bärbel«, sagte er
leise. »Immerhin bin ich so heldenhaft, es einzugestehen und uns beiden nichts
vorzumachen. Ich hab’ auch schon viele mutige Männer gesehen, die mit
geschwellter Brust aus der Kirche kamen und dann mit krummem Buckel vom
Scheidungsrichter... ich finde, wir passen gut zusammen... sollte man so ein
nettes Verhältnis durch Heiraten kaputtmachen... wir waren doch bis jetzt
zufrieden... ich hab’ wirklich nicht geglaubt, daß du jemals auf solche
Gedanken kommst... ich würde mich auch nicht wollen, wenn ich ein Mädchen wäre...
ich hab’ dich wirklich lieb, aber das würde ich niemals verlangen... verstehst
du das nicht?«
»Doch.«
»Und jetzt, wo die Geschichte mit dem
Jens passiert ist, der nur aus blanker Eifersucht dir und mir eins auswischen
will, und dein Vater dir einen Vortrag gehalten hat, wie man sich als höhere
Tochter zu benehmen hätte...«
Ihre Augen begannen zu funkeln. Er sah
es nicht.
»...jetzt fängst du davon an. Du willst
es doch selbst nicht. Warum soll ich es dann wollen?«
Sie dachte an ihren Vater in seinem
Arbeitszimmer und an seine Frage.
»Und wenn ich ein Kind bekäme?«
Er schlug die Handflächen aneinander.
Zum erstenmal schien er sich zu ärgern. »Ach, Mädchen! Keine Frage auf der Welt
wird so oft gestellt wie die! Bisher hast du’s auch ausgehalten, ohne danach zu
fragen!«
»Was tätest du?«
»Was täte ich? Ich weiß nicht! Keine
Ahnung! Aber ich bin schließlich keine achtzehn mehr, und ich weiß wenigstens,
was man tun kann, damit es nicht so weit kommt!«
»Du würdest mich auch dann nicht
heiraten?«
Er öffnete den Mund, holte tief Luft.
Jetzt sah er ihr gerade ins Gesicht. »Nein.«
Sie nahm ihre Zigaretten und ihr
Feuerzeug vom Tisch. Er sah ihr zu, wie sie alles in die Handtasche tat.
»Bärbel«, fing er an. Seine Haut war
jetzt weißer, schlecht durchblutet. »Hör mir zu. Wenn wir schon so weit sind...
du als erschütterte Geliebte und ich als Feigling... ich hatte mir’s anders
vorgestellt, dich abzuholen... schön... ich sage dir die Wahrheit, auch wenn du
es nicht für möglich hältst. Ich heirate dich nicht, und ich will kein Kind.
Das ist es.«
Der Verschluß der Handtasche schnappte.
»Ist dir die andere Tour lieber? Die
von den Jünglingen, die hinter deinem Rücken an Papa schreiben? ›Ach, Liebling,
warte nur, das regeln wir schon, das wird schon, ich nehme dich bestimmt, wen
sollte ich sonst nehmen, geh erst mal ins Bett, da kommen wir auf die besten
Gedanken, keine außer dir liebe ich‹ ; und drei Monate später heißt
es: Verzeihung, ein Irrtum, ich muß besoffen gewesen sein oder sonstwas! Ist
dir das lieber? Ich sag dir’s gleich. Mehr kann ich doch nicht machen, verdammt
noch mal!«
»Nein«, sagte sie. »Mehr kannst du
nicht machen.«
An
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