Der Feigling
kleinen Männchen darin.
Er lächelte noch immer.
Am anderen Ende der unsichtbaren
Leitung stand der Feigling. Er sah die Turmuhr an der Kirche, es war halb zehn.
Sonntag früh. Er ging zu seinem Bett zurück, legte sich wieder hin. Bald würde
er hoch müssen und Barbara abholen.
Barbara.
Der Chef hatte recht. Erst die Arbeit,
dann das Vergnügen. Die Arbeit mußte getan werden. Und dann? Heiraten? War das
das Richtige für ihn? Wahrscheinlich waren sie alle ungeeignet, längst
verdorben, nichts mehr rückgängig zu machen. Barbara würde ihn nicht wollen.
Und er? Konnte sich alles von selbst erledigen. Wer tot war, brauchte nicht zu
heiraten, konnte kein Rentner mehr sein mit Büchern und mit vielen Flaschen im
Keller.
Meisterchen hatte Barbara beobachtet
und einiges erfahren. Nur mit Meise hatte sie gesprochen, mit niemandem sonst.
Meise? Ach was.
Der Meister telefonierte gern, er hatte
längst alles von Meise gehört, er saß irgendwo und plante und überlegte und
konnte warten.
Der Feigling schloß die Augen. Er sah
Barbara, die ganze Figur, von den aufgepusteten Haarfedern bis nach unten, sehr
deutlich in dem roten Schimmer hinter den Lidern. Man sollte an den ganzen
Quatsch nicht denken. Es war Sonntag, sie fuhren zusammen weg, eine andere
Strecke würde er nehmen und sie mit dem gestrigen Tag versöhnen. Er hörte zehn
Schläge der Uhr durch den leisen Lärm von der Straße und kam mit einem Ruck
hoch. Bloß nicht pennen.
Als er fertig war und sich rasiert
hatte, klingelte das Telefon zum zweitenmal an diesem Morgen.
»Greis«, sagte Bärbel. Ihre Stimme war
kurz, kühler als sonst. Als wollte sie nur etwas ausrichten. »Du brauchst mich
nicht abzuholen.«
Lange Übung machte, daß man am Telefon
ruhig blieb. Der Feigling setzte sich, sprach ganz normal. »Nicht? Was ist?
Kater?«
»Ich muß nach Hause. Mein Vater hat
telegrafiert.«
»So plötzlich?«
»Alles geht plötzlich bei ihm.«
»Bärbel«, sagte er langsam, »wenn du
mir böse bist wegen gestern — ich meine, wenn du nicht mitwillst —, Ausreden
wären nicht nötig...«
»Es ist keine Ausrede«, sagte sie
heftig. »Glaubst du, ich würde es nicht sagen, wenn ich nicht wollte?«
Er lächelte. Natürlich. »Nein, nein,
Unsinn... ich hatte mich so gefreut.«
»Ich auch.« Jetzt war es besser mit
ihrer Stimme. »Es geht nicht. Ich muß hin.«
»Du weißt nicht, was es ist?«
»Nein.«
»Soll ich dich zum Bahnhof fahren?«
»Brauchst du nicht. Langt auch nicht
mehr. Ich nehme ‘ne Taxe. Aber abholen kannst du mich: Ich telegrafiere.«
»Gut. Bärbel?«
»Ja?«
»Bist du mir noch böse?«
»Nein. Wiedersehen.«
»Dank dir schön. Gute Reise. Paß auf
dich auf. Wiedersehen.« Dann saß er allein da mit dem schweigenden Hörer. Es
war alles zum Kotzen.
*
Das Arbeitszimmer war nicht sehr groß.
Aber man konnte ahnen, daß es das Zentrum war, von dem aus die Familie ernährt
und regiert wurde.
Ihr Vater sah aus wie immer.
Die Mischung aus Generaldirektor und
Spaßmacher, ein joviales Gesicht voller Wohlwollen, wenn ein Gast eingeführt
wurde oder ein junger Mann sich um eine Stellung bewarb, und ein Pokergesicht
aus Stein in der nächsten Sekunde, wenn eine Entscheidung erzwungen werden
mußte. Er war eine Persönlichkeit. Barbara hatte ihn immer geliebt. Er war über
sechzig, und die Mädchen sahen ihm nach wie früher. Barbara dachte an den
Greis, und daß er das nie schaffen würde. Weder das Aussehen noch das Vermögen.
»Also«, sagte er freundlich, »da bist
du ja. Ausgeschlafen?«
Sie war am späten Abend angekommen.
Ihre Mutter hatte sie gesprochen, ihn nicht mehr. Sitzung und irgendwas.
»Danke, Paps. Ja.«
»Sehr schön.« Es würde sofort losgehen,
sie wußte es. Aufenthalt liebte er nicht. »Setz dich. Nein — neben mich...
nicht hinter den Schreibtisch! Bist doch kein Kunde!« Er griff nach einem
Ordner, blätterte darin. »Wo hab’ ich’s denn... das ist... ja... hier...« Er
zog einen Brief heraus, die Blätter steckten senkrecht im Umschlag, er faltete
sie auseinander, aber Barbara konnte nichts lesen.
»Der Jens hat mir geschrieben. Weißt
du, dieser junge Mann, den wir...«
»Ich weiß.« Eine Welle lief über ihr
Gesicht, die Abwehr spannte sich über sie wie ein Schirm.
Jens.
»Ja, wie ich dich kenne, wirst du nicht
begeistert sein. Es läßt sich auch darüber streiten, ob er das Richtige getan
hat oder nicht...«
»Darüber läßt sich nicht streiten.«
Fröhliche Falten waren in
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