Der Feigling
nichts.
»Ich hatte es satt und wollte weg von
ihm. Endgültig. Am Abend habe ich meine Sachen abgeholt... ich suchte nach ein
paar Bildern von mir, ich wollte sie nicht dalassen... da fand ich einen Orden
in dem Kasten, wo die Bilder waren... ein Ritterkreuz.« Sie sah auf, dem alten
Mann ins Gesicht. »Doktor Meise... ist es möglich, daß er das hat? Als
Feigling?«
Er hüstelte etwas. »Das ist möglich,
mein Kind«, sagte er. Barbara sah ihn an, mit starrem Gesicht.
»Es wäre möglich, denn... die anderen
haben es auch. Sogar noch mehr.«.
Barbara atmete hastig. Es war doch
etwas an ihrer Ahnung. »Aber... warum benimmt er sich dann so? Ich wollte ihm
nicht unrecht tun, ich bekam Zweifel, auf einmal war das alles so merkwürdig.
Ich wollte jemanden fragen, ich hab’ ins Telefonbuch geguckt, keiner steht drin
außer Herrn Zahmeis und Ihnen. Ich bin zu Herrn Zahmeis gegangen, nicht wegen
des Parfüms, alles Schwindel, ich wollte etwas erfahren...«
Der Doktor lächelte wie ein Faun.
»Haben Sie was erfahren?«
»Betrunken war er! Lag vor seinem
Schreibtisch! Ich mußte ihn erst in die Senkrechte bringen...«
Meise begann zu lachen. Glucksend und
mit schwachem Atem, aber endlos und herzlich.
Barbara war empört, sie hielt es nicht
lange durch und lachte mit. »Dann bin ich zu Ihnen gekommen«, sagte sie
kleinlaut. »Ich komme mir jetzt dumm und albern vor...«
»Haben Sie ihn lieb?« fragte der Alte.
Barbara wartete, schielte zu ihm. Es
dauerte einige Zeit, bis sie nickte, mit vorgeschobener Unterlippe.
»Das würde alle Neugier entschuldigen«,
sagte er. Er hob seinen faltigen Zeigefinger. »Ich erzähle auch nur etwas, wenn
es wirklich so ist.«
»Wirklich!«
Barbara verbrannte sich die Finger an
dem Rest ihrer Zigarette. »O Gott! Jetzt habe ich Ihnen was vorgequalmt, und
Sie sind krank und...«
»Sie riecht gut«, sagte er träumerisch.
»Ich sollte auch eine rauchen.«
»Aber die Erkältung! Wenn der Doktor
kommt?«
»Der kommt nie am Sonntag. Ich muß mir
zum Sterben einen anderen Tag aussuchen.«
Barbara lachte, hielt ihm ihre
Schachtel hin.
»Oh, nein, nein! Viel zu stark für
mich! Dort liegen meine auf dem Schreibtisch! Zauber des Orients! West-östlicher
Diwan! Tränen der Suleika!«
Sie holte die Schachtel und gab ihm
Feuer. Er hustete etwas nach den ersten Zügen. Seine Augen sahen in den Rauch.
»Viel kann ich nicht erzählen, Bärbelchen«, sagte er. »Ich kenne das Lokal
schon sehr, sehr lange. Herr Wuck ist ein alter Freund von mir. Die Männer und
auch den Jakob haben wir erst nach dem Krieg kennengelernt. Sie haben einiges
gemeinsam: Sie waren alle im Feld und sind alle hoch dekoriert, wie man so
passend sagt.«
»Zahmeis auch?«
»Nein. Der nicht. Der kennt nur die
Orden, die Napoleon getragen hat. Aber die anderen — Jakob, Carls, der kleine
Fuchs, Walter Schulz... sie kennen sich alle aus dem Krieg und hatten alle das
gleiche Schicksal. Sie sind alle nicht verheiratet. Sie kommen jeden Sonnabend
zu Friedrich und trinken. Viel Alkohol.«
»Und sie stehen nicht im Telefonbuch
und haben kein Büro. Ihren Beruf scheinen sie nur als Nebenbeschäftigung zu
betreiben.«
»Das könnte sein.« Seine Stimme sang.
»Ich weiß es nicht genau. Es sind alles Vermutungen... Mutmaßungen über Jakob,
sozusagen... Sie dürfen auch nichts davon verraten.«
»Ich verrate nichts.«
»Sie haben irgend etwas zu tun«, sagte
der Alte langsam.
»Eine Aufgabe... verstehen Sie?«
»Nein«, antwortete Barbara.
»Sie sind von jemandem engagiert, um
etwas zu erledigen... etwas, wozu man Leute braucht wie sie.«
»Von wem engagiert?«
»Ich weiß es nicht, mein Kind. Ich habe
nie danach gefragt. Aber der Wirt, mein guter Freund, weiß auch manches. Sie
können alle schießen... fabelhaft sogar... der Friedrich hat es mal gesehen...
sie waren auf einem Schützenfest, und es ging dann noch weiter auf einem
privaten Schießstand... Ihr lieber Jakob auch... und der brave Schulz... er
trifft ein As aus der Karte auf dreißig Meter... am schlimmsten soll es sein
mit dem kleinen Fuchs... der hat einen Stein in der Luft getroffen, mit dem
Revolver... denken Sie...«
»Jakob auch«, sagte Barbara abwesend.
Plötzlich mußte sie daran denken, wie er fortgegangen war am ersten Abend und
so spät erst wiedergekommen, viel später, als er gesagt hatte. Sie blickte den
Doktor an. »Was bedeutet das alles?«
Er drehte den Kopf langsam hin und her.
»Ich kann es Ihnen nicht sagen, liebes
Kind. Aber
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