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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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brauchen, aber jetzt gerade tut es ihr gut, es gibt ihr Halt und das Gefühl, nicht ganz allein zu sein, und deshalb ist es natürlich vollkommen in Ordnung. Denn die Bilder vermitteln ihr eine Erinnerung, eine, wie Psychoanalytiker sagen würden, „Objektkonstanz“. Sie bringen ihr – welcher Persönlichkeitsanteil da auch immer aus ihren Augen schaut – in Erinnerung, dass da draußen Menschen sind, die sie wirklich freundlich behandeln, ohne sie auszubeuten oder zu beschuldigen.
    Leider sind das „nur“ drei professionelle Kontakte, und bis auf den Seelsorger ihrer Glaubensgemeinschaft, der sie ebenfalls verlässlich ermutigt, gibt es keine privaten Beziehungen, die ihr ein positives Selbstbild anregen helfen. Aber bislang konnte sie keine anderen Menschen zulassen. Sie hat keine beste Freundin, denn sie ist davon überzeugt, eine „Zumutung für andere“ zu sein, andere zu sehr zu belasten. Außerdem ist ihr allein die Vorstellung, sich auch in der Freizeit noch nach außen ständig kontrollieren zu müssen, ein Graus. Sie hatte noch nie eine Partnerschaft, allerdings einmal über zwei Jahre einen „festen Freund“, zu dem sie die Beziehung abbrach, als er sie sexuell unter Druck setzte. Sexualität ist natürlich nach allem, was sie als Kind durchgemacht hat, der schwierigste Punkt überhaupt; eine sexuelle Beziehung mit einem Mann wünscht sie sich, aber noch kann sie sie nicht leben. So lebt sie allein in ihrer Wohnung, und sie braucht alle Energie, um ganztags berufstätig sein zu können. Außerdem singt sie in einem Chor und geht in ihre christliche Gemeinde; der Glaube gibt ihr Trost und Halt. Ich finde sie bewundernswert tapfer; sie hält Schmerzen, Flashbacks, schlaflose Nächte durch und geht danach diszipliniert zur Arbeit, wo sie offenbar beliebt ist, was sie mir aber nur indirekt vermitteln kann, weil sie es selbst noch nicht bemerkt. Oder wenn sie es ansatzweise bemerkt, glaubt sie es nicht, auch wenn die Alltagspersönlichkeiten es nur allzu gern glauben möchten.
    Diese junge Frau (sie sieht viel jünger aus, als sie von ihrem Körperalter her ist) fällt nach außen hin kaum auf, und wenn, dann meist angenehm. Sie ist groß, schlank, klug und sieht gut aus. Sie ist ein liebevoll zugewandter und für andere beziehungsfähiger Mensch.
    Alles das aber „weiß“ sie ebenso wenig, wie sie sich vor ihrer Traumatherapie Vorstellungen von Geborgenheit, Sicherheit und Trost für ihr Innenleben und die anderen Persönlichkeitsanteile in ihr machen konnte. Diese Formen des Lernens haben erst begonnen, seitdem sie in Psychotherapie ist und die Beziehung zu ihren früheren primären Bindungspersonen – Mutter und Vater – zunehmend auch aus einer kritischen Distanz sehen kann. Sie muss den Unterschied zu dem, was sie bislang als „ganz natürlich“ empfand, konkret erleben, sonst kann sich in ihr keine „Erinnerungsspur“ davon bilden, wie sie es selbst beschrieben hat. Es nützt also nichts, wenn jemand ihr sagt, dass sie eine wunderbare Persönlichkeit ist; sie wird es (noch) nicht glauben können. Sie wird lernen, dass sie für ihre Selbstwahrnehmung „ganz in Ordnung“ ist, mindestens das. Und das wird sie nicht auf der intellektuellen Ebene, sondern ganz allmählich vermittelt lernen, über die Beziehung zu verlässlichen und sie ohne Eigeninteresse fördernden Menschen. Die im Privatleben zu finden dürfte schwierig sein, denn die meisten Menschen haben sehr wohl eigene Interessen, wenn sie einer erwachsenen Frau begegnen. Sie wollen selbst etwas von ihr.
    Was es braucht, ist sozusagen noch einmal zu erfahren, nicht ausgenutzt und ausgebeutet zu werden, denn dafür hat sie ein feines Sensorium. Und wie so viele selbst ausgebeutete junge Menschen ist auch diese Frau bereit, für andere ihr letztes Hemd zu geben und nichts für sich zu erbitten, nur damit sie bei jemandem, der ihr innerlich etwas bedeutet, „da sein darf“ und ein wenig Zuwendung erfährt. Sie lernt aus den professionellen Kontakten, dass sie etwas bekommt, das ihr gilt, das sie ganz persönlich meint – und alle ihre inneren Zustände und Anteile ebenfalls, auch diejenigen, die sie selbst an sich unerträglich, unaushaltbar bzw. unerreichbar findet. Sie lernt, dass es eine Zuwendung von außen gibt, für die sie nicht „bezahlen“ muss. Auch wenn die Krankenkasse oder auch die KlientIn selbst die Therapiestunde bezahlt: Hier ist die moralische Form der Bezahlung gemeint, die sie nicht leisten muss. Sie muss sich

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