Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
nicht quälen, sich nicht gegen ihren Willen zu etwas nötigen lassen, nicht Schreckliches und Schmerzhaftes erdulden, nur um ein wenig Zuwendung zu bekommen. Und das ist ihr erst einmal ebenso neu wie unheimlich.
„Gekaufte“ Beziehungen – und dennoch Herz-zu-Herz-Verbindungen?
Schlimm genug, dass es in unserer Gesellschaft diese Form der bezahlten Arbeitsbeziehung braucht, wie Psychotherapie sie anbietet. Und es ist eine wirkliche und eine wirklich anspruchsvolle Arbeit, einer KlientIn sorgfältig psychotherapeutische Unterstützung zu geben, von daher ist es auch richtig und wichtig, dass sie finanziell entgolten wird. – Das zu diskutieren wäre einen eigenen Beitrag wert, denn traumatisierte Menschen bekommen nur schwer und wenig bezahlte psychotherapeutische Unterstützung, was gesellschaftlich als Skandal gelten müsste. Für die meisten traumatisierten Menschen ist es schon demütigend genug, sich einen Profi „kaufen“ zu müssen bzw. den häufig schwierigen und nicht selten ebenfalls demütigenden Weg der Krankenkassenanträge gehen zu müssen. Wenn sie dann aber jemanden gefunden haben, der oder die mit ihnen therapeutisch zu arbeiten beginnt, sollen sie erfahren, dass es da etwas gibt, das man nicht kaufen kann: echte Mitmenschlichkeit, wirkliches Mitgefühl und vorbehaltlose Unterstützung auf dem Weg heraus aus dem Tal der Tränen; eine Haltung, die meiner Klientin auch von ihrem Seelsorger entgegengebracht wird, der allerdings selbst erkannt hat, dass es für sie wichtig ist, ihr Leid auch psychotherapeutisch zu verarbeiten. Und ich füge hinzu: Dabei ist die komplexe dissoziative Identität auch bedeutsam; sie zu verstehen und besser koordinieren zu helfen kann selten ohne psychotherapeutische Unterstützung gelingen. Eine Unterstützung, die allen abgespaltenen Anteilen gilt und sie alle einbezieht. Wer diese Form des fraglos Angenommenseins in der Herkunftsfamilie nicht erfahren hat, sondern das Gegenteil davon: Ausgeliefertsein, Verlassenheit, Misshandelt- und auch noch Beschuldigt-Werden, der oder die wird die achtsame, Schutz und Halt gebende Beziehung zur Therapeutin so dringend brauchen wie die Luft zum Atmen.
Ja, mir wäre es auch lieber, die Menschen hätten im Privatleben genügend vertrauensvolle und unterstützende Beziehungen, um wenig Psychotherapie zu brauchen. Es wäre mir lieber, alle Menschen würden auch die ungewöhnlichsten und schwierigsten Situationen gemeinsam lösen und würden sich füreinander liebevoll engagieren. Dann könnten sie das meiste aus sich selbst heraus schöpfen und es würde dann auch in der Psychotherapie, falls sie eine solche dann überhaupt noch benötigten, schon genügend Selbstfürsorge „da“ sein. Da soll es auch hingehen: selbst groß werden und private, persönliche nahe Beziehungen eingehen.
Doch zu Beginn einer Psychotherapie – zumindest der mit einer komplex traumatisierten Persönlichkeit – ist es meist eine Illusion zu glauben, wir könnten sofort auf die Ebene reiner Symptombearbeitung gehen: Selbstverletzungen mithilfe von Bewältigungs-Skills verändern, Flashbacks reduzieren, andere Arten von Verhaltensveränderung sowie den positiven Umgang mit der Schreckenserfahrung (also ein Reframing). Wir können natürlich so arbeiten; das wird die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zumindest auf Dauer auch reduzieren, und wir sollten durchaus vieles davon tun. Doch da unsere komplex traumatisierten KlientInnen eine fundamentale Bindungsstörung haben, wird diese mitbehandelt werden müssen, weil sie entscheidend dafür ist, ob ein Mensch froh und lebensbejahend wird, private unterstützende Freundschaften und eine Partnerschaft eingehen und ggf. mit eigenen Kindern anders umgehen kann, als er oder sie selbst behandelt worden ist. Die Reduktion von PTBS-Symptomen kann man mit reiner Verhaltenstherapie erreichen. Für das andere aber, das vielleicht Wichtigere, gibt es bislang keine ausreichende „Operationalisierung“, vielleicht wird es die nie geben; also fällt der Beziehungsaspekt in den „evidenzbasierten“ Verfahren fast immer unter den Tisch.
Die Klientin, die ich gerade geschildert habe und die sich selbst zu dem Thema äußerte, hat bis vor wenigen Jahren alles dafür getan, niemanden zu brauchen, sich niemandem mehr ausliefern zu müssen. Wäre es ihr nicht immer schlechter gegangen, hätte sie nicht vermehrt Krampfanfälle bekommen, immer häufigere „Aussetzer“, nach denen sie mühsam
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