Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
das italienische Regierungs-Fiasko: dass ein Land entweder eine ununterbrochene Abfolge von Kleinkriegen zahlreicher miteinander verfeindeter Parteien erlebt, oder andererseits einen derart hemmungslos alle offizielle Moral über Bord werfenden Regierungschef wie Silvio Berlusconi nicht nur so lange ertrug, sondern ihn immer wieder wählte, wirft auch ein bezeichnendes Licht auf eine italienische Mentalität, nach der man (Mann) augenzwinkernd den radikalen Machterhalt bewundert und den „Gockel“ für seine Dreistigkeit: „Der traut sich was – ein ganzer Kerl!“ Dass derweil die eigene intelligente Elite das Weite suchen muss, weil Vetternwirtschaft, Korruption und einfach Unfähigkeit von Politikern und anderen Entscheidern sie dazu nötigt, falls sie nicht für einen Hungerlohn in einem Callcenter schuften will, steht auf einem anderen Blatt. „Wir suhlen uns in unserer glorreichen Vergangenheit. Aber wem nutzen die alten Römer, wenn der Bus nicht fährt?“, stöhnt eine vorübergehend aus ihrem amerikanischen Exil heimgekommene Physikerin. Was fehle, seien Respekt und Bürgersinn, Mitmenschen, die sich nicht nur für sich selbst verantwortlich fühlen, sondern für das Gemeinwohl, die „res publica“, vertraut sie der sie begleitenden Spiegel -Redakteurin an (Nr. 32 / 2012, S. 50).
Und so kann man hier in Rom bestaunen, wie seit Jahrtausenden eine politische Schlacht nach der anderen Ruinen und Ausbeutung, aber auch wunderbare Kunst schuf und bestätigte – und eine Schicht von Steinen und Menschen nach der anderen, eine Generation von Armen und Reichen nach der anderen aufeinander aufbaute. Man schlägt sich so durch, und selbst die kleinen Leute versuchen noch auf bewundernswerte Weise, „bella figura“ zu machen. Die Grandezza der Herrschenden im Alltäglichen widerspiegelnd. Zivilisation und Barbarei – selten lassen sie sich so schön studieren wie hier.
Gut oder böse?
Wer ohne Sünde sei, werfe den ersten Stein. Haben wir doch alle, überall auf der Welt, den Wunsch nach Schönheit und Würde in uns – zusammen mit den primitivsten Machtbedürfnissen und Gewaltfantasien Auch diejenigen unter uns, die keine Menschen erschlagen, vergewaltigt oder gefoltert haben, kennen sie. Ob sie angeboren und damit genetisch verankert sind oder ob die verschiedenen Impulse in uns deshalb koexistieren, weil und wie sie uns vorgelebt wurden, wer weiß. Macht scheint bei all dem ein wichtiges Stichwort zu sein. Macht und die erzwungene Nähe von Menschen, die miteinander leben müssen, die ringen und kämpfen ums Überleben, um das Oben oder Unten, um Sein oder Nichtsein, um Gewinnen oder Unterliegen.
Dieses Thema beschäftigt mich seit Jahrzehnten: Was können wir wissen über die Tendenzen in Menschen, sich gut oder böse zu verhalten? Noch genauer, denn ich bin ja Psychotherapeutin und beschäftige mich mit den Heilungsprozessen von früh und langjährig gequälten Menschen: Wie können sich Erfahrungen von Gewalt im Innern von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verwandeln in „böse“ Gedanken, Impulse und Handlungen – oder auch transformiert werden in gute? Falls Böses Böses gebiert: Wer wird sie dann auch ausführen, die bösen Taten? Schwache Menschen, Männer eher als Frauen, schwerer gestörte eher als „Neurotiker wie du und ich“? Diese Fragen können wir stellen, weil wir heute in einer anderen als in einer Sklavengesellschaft leben (jedenfalls die meisten von uns; über die Ausnahmen werde ich auch sprechen – Kinder, die eingesperrt, gequält und mit dem Tode bedroht werden). Wir wurden nicht entführt und zum Bösen unter Folter gezwungen wie die Kindersoldaten im Kongo (jedenfalls die meisten von uns; es gibt Ausnahmen auch in westlichen Industrieländern, über die wir sprechen sollten: Kinder zum Beispiel, die zu sogenannter „Kinderpornografie“ und „Kinderprostitution“ gezwungen werden). Wir werden nicht unter Todesdrohungen zum Schweigen verpflichtet wie in einer Diktatur (Ausnahmen auch hier: AussteigerInnen aus organisierten Formen von Ausbeutung – das sollten wir uns ansehen!).
Wir dürfen, ja, wir müssen uns in einer (ansonsten) freiheitlichen Gesellschaft Gedanken machen um böse und gute Handlungen. Unsere Kinder wachsen auf und werden Tausende von Entscheidungen treffen müssen, jeden Tag. Sie werden sich gut, böse und neutral verhalten. Wer von ihnen wird zum Täter, wer nicht? Wieso können manche Menschen fast alles an Furchtbarem erleben: Einsamkeit,
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