Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
leisteten. Der „Bastard“ selbst zeigte sich zunehmend interessiert zu verhandeln und seine eigene Position zu verändern, da er durch die Arbeit immer deutlicher das Leid der anderen Innenanteile spürte und sich selbst auch nicht mehr wohlfühlte. Nun wurde auch deutlicher, dass ein ca. fünfjähriges Innenmädchen, von dem Frau K. sagte, es bestünde seit ihrem dritten Lebensjahr, sich nach wie vor „nur halb“ ohne den Zwillingsbruder fühlte und sich nur über die schwer kranke Haut spüren konnte. Wir versuchten dann, über Felle und verschiedene Stoffe dieser Kleinen alternative Spür- und Beruhigungsmöglichkeiten zu geben, wodurch sich die Haut jeweils kurzfristig etwas beruhigen konnte. Die „anderen“ versuchten dann, still zu halten.
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Abbildung 27: „Prävention“
Es gab allerdings auch Innenanteile, die sich nur durch den Schmerz im sadistisch-selbstbestrafenden Sinne spüren konnten und mit denen ebenfalls kleine Schritte der Toleranz und Schwellenverschiebung ausgehandelt werden mussten. Eine 14-Jährige, am anorektischen Ideal orientiert, die zeitweilig allen Innenanteilen für sie unangemessene Essenseinschränkungen und ungesunden Sport abverlangte, spüre sich „nur bei Schmerzen richtig“. Der als alterslos bezeichnete indianische Anteil, der auch über schamanisches Heilwissen verfüge, gebe den Glauben an das Gute nicht auf. Er vermittle dies auch nach innen, beschütze die Seele und versuche, diese zu heilen, könne jedoch die Zerstörung des Körpers nicht verhindern.
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Ein wichtiger Schritt konnte in dieser Therapiephase noch durch eine Live-Supervisionsstunde mit Michaela Huber geleistet werden, in der sich die Patientin mit den wichtigen an der Therapie beteiligten Anteilen zeigen konnte. Sie fühlte sich verstanden und angenommen und von da an wurde die weitere Arbeit noch ein deutliches Stück intensiver [9] . Was für Frau K. bis dahin undenkbar war, wurde nun möglich: eine Art gemeinsamen Lebensraum für alle Innenanteile zu schaffen. Sie konnte sich nicht vorstellen, als Modell dafür ein gemeinsames Haus oder einen gemeinsamen Garten zu nehmen. Doch auf die ihr eigene kreative Weise fand sie einen Weg: Sie erschuf ein „Gelände“, auf dem jeder der Innenanteile in einer ihm eigenen Weise untergebracht werden konnte und auf dem gleichzeitig Verbindungswege zu den anderen möglich waren. Dieser Prozess umfasste eine längere Zeit, war mit teilweise großen Schwierigkeiten verbunden, brachte jedoch die integrative Arbeit spürbar voran. Auch hier gab es wieder zuerst gemalte Bilder, die wir dann in den therapeutischen Sitzungen als Grundlage für das Aushandeln des jeweiligen Zu- und Miteinanders auf dem Gelände verwenden konnten. Dann entstand aus mehreren aneinandergefügten Blättern eine in Schwarz-Weiß gehaltene Darstellung des Geländes, auf dem schließlich jeder einen für ihn akzeptablen Platz gefunden hatte. Eine „Sicherungskopie“ wurde für mich erstellt.
Abbildung 30: Das „Gelände“ von Frau K.
Dieser erste Entwurf über Vorstellungen eines „inneren Zusammenlebens“ zeigte sich an vielen Stellen als verbesserungsbedürftig; dennoch erschien es Frau K. „fast wie ein Wunder“, dass er überhaupt möglich geworden war.
Die skizzierten wichtigen Einzelschritte im Verhandeln mit und Integrieren von Täteranteilen konnten nicht verhindern, dass bei Frau K. auch der weitere Verlauf nach wie vor krisenhaft blieb, dass es Momente von mehr Todes- als Lebensnähe gab. Auch die Haut reagiert weiterhin auf das Heftigste und die Alltags- und Arbeitsplatzgestaltung bleibt schwierig. Die im Innen notwendige Auseinandersetzung bei alltäglichen Fragen der Lebensberechtigung und -gestaltung lässt sich jetzt jedoch auf der Ebene verschiedener innerer Positionen immer klarer führen. Sie lässt sich zum einen täterseitig zuordnen und ist zum anderen inzwischen in ihrer Destruktivität besser verstehbar. So stellt Frau K. etwa im Bild „Rechtlos“ (Abb. 31) dar, dass es ihr, der inzwischen Großen, geschehen ist, dass sie als Mädchen angefasst und angegriffen wurde.
Abbildung 31: „Rechtlos“
Auch gibt es mittlerweile immer mehr Verhandlungen mit den anderen Anteilen und somit verändert sich die dissoziative Aufspaltung hin zu mehr Kooperation. Punktuell gelingende Gemeinsamkeit schafft bislang unbekannte Gefühle von Lebendigkeit und „Ganzsein“ und ist damit auch richtungsweisend für die weitere
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