Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Handeln
Weigerung, Verantwortung zu übernehmen
viele Kurzzeit-Beziehungen
Jugendkriminalität
Verletzen von Bewährungsauflagen
große kriminelle Energie
Für jedes Kriterium werden bis zu drei Punkte vergeben. Bei mehr als 30 Punkten gilt der Getestete als Psychopath.
Zwei Probleme gibt es bei dieser Einschätzung: Zum einen ist sie – neben dem Auswerten von Akten – häufig dem Beobachter überlassen. Wer also einen Menschen z. B. nicht leiden kann, wird ihm solch negative Merkmale möglicherweise leicht unterstellen. Zum anderen lädt die Psychopathie-Definition, wie sie auf diese Weise operationalisiert wird, zum Verallgemeinern ein, was auch häufig geschieht. Im engeren Sinne versteht man unter Psychopathen vor allem diejenigen, die einer von zwei Kategorien angehören, die der Neurowissenschafter Gerhard Roth (in Jurschik 2012) anführt: „Diejenigen, die sich sehr aufregen, sich sehr provozieren lassen – und diejenigen, die sich überhaupt nicht aufregen, sondern zuschlagen.“ Nimmt man beide Varianten zusammen – also sowohl die impulsiven als auch die „cool zuschlagenden“ Täter –, dann landet man bei einer Größenordnung von 15 % bis zu 40 % der inhaftierten Gewalttäter, die als Psychopathen einzuschätzen seien. Mit anderen Worten: Jeder siebte bis mehr als jeder dritte in Haft oder in der forensischen Psychiatrie befindliche Täter ist entweder von der schwer einzuschätzenden Sorte derjenigen mit rein instrumenteller Aggression, die zielgerichtet, manipulativ und pathologisch narzisstisch vorgehen, oder von der Art der ebenso skrupellosen, aber leicht kränkbaren, aufbrausenden Art. Oder eine Mischung von beiden.
Die meisten Gewalttäter sind eher impulsiv. Sie versuchen, anständige Menschen zu sein, haben aber Impulsdurchbrüche. Manche leiden unter Zwangsgedanken und -handlungen oder Wahnvorstellungen, die sie irgendwann abrupt, weil gerade gedemütigt oder provoziert, umsetzen. Die „Instrumentellen“ haben häufig ebenfalls Zwangsfantasien; manche auch Wahnvorstellungen, die sie eines Tages – für andere vollkommen unerwartet – „cool“ umsetzen. Der norwegische Attentäter Anders Breivik ist dafür ein Beispiel; dazu später mehr. Liegen bei einem Menschen solche Zwangsvorstellungen vor, muss also sehr genau hingeschaut werden, zu welcher Variante er gehört, denn es sieht so aus, als wären die „coolen“ – wenn überhaupt – noch schwerer behandelbar als die aufbrausend-impulsiven Täter. Denn die gehen oft nicht so nach Plan und nicht gezielt vor. Natürlich gibt es wie gesagt auch Mischungen beider Typen, also Täter, die lange kalt planen, manipulativ vorgehen und dann in einer akuten Situation, in der sie sich gekränkt oder gedemütigt fühlen, zuschlagen.
Interessant ist Hares Bemerkung, dass ein durchaus beachtlicher Teil der Psychopathen niemals vor Gericht landen, da sie ihre charmante skrupellose Intelligenz und ihre kriminelle Energie in gesellschaftlich anerkannten Berufen „austoben“: als Manager, Sekten-Gurus oder in anderen Tätigkeiten, in denen sie Macht über andere Menschen zum eigenen Vorteil ausüben können (siehe Kapitel 2, „Krieg im Alltag“ ).
Viele Menschen geben ihren gewalttätigen Impulsen und Fantasien höchstens verbal nach, manche leben sie aus und manche gehen sogar so weit, zu töten. Aber wer ist besonders gefährdet, anderen Menschen gegenüber „zu weit“ zu gehen? Insgesamt sind zwischen 80 und 90 % der als psychopathisch definierten TäterInnen Männer. Das ist schon einmal eine geschlechtsspezifische Antwort. Es wird behauptet, dass die Verbindung von Testosteronausschüttung während Fantasien und Taten sowie die Dopamin- und Serotoninausschüttung während und nach den Taten eine Art Sucht nach weiterem diesem Muster entsprechenden Verhalten auslösen.
Entscheidend dafür, ob jemand wiederholt zum Gewalttäter wird, ist offenbar das Kriterium „gewissenlos“, also nicht (mehr?) fähig zu Mitgefühl zu sein. Das herauszufinden ist insbesondere bei raffinierten „coolen“ Gewalttätern schwer, weil sie sozial erwünschte Antworten geben, denn selbstverständlich wissen sie, dass man Empathie zeigen sollte. Im Film von Karin Jurschick „Das Böse. Warum Menschen töten“ (2012) beschreibt der amerikanische Psychiatriegutachter Michael Woodworth beispielhaft den Fall eines Patienten aus der Forensik, der ein Kind sexualisiert gefoltert und getötet hatte. Als Psychotherapeut fand Woodworth im Laufe der
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