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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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Gewalttäter so? Nein, natürlich nicht. Doch viele Menschen, die Gewalt anwenden, rechtfertigen diese vor sich in der oben angedeuteten Weise. Und wirklich fürchten müssen wir alle Menschen, die keinerlei Mitgefühl mehr kennen, und wenn man Juristen und Psychiater fragt, scheinen sie vor allem männlich zu sein und mehr zu werden. Die öffentliche Meinung ist eindeutig und populistisch argumentierende Politiker bestärken sie: „Alle wegsperren“ wollte zum Beispiel Kanzler Schröder die „Kinderschänder“ einmal und meinte: Ins Gefängnis mit ihnen.
    Psychiater und Hirnforscher widersprechen – ein wenig: Gewalttäter, besonders Sexualtäter, seien mehrheitlich gestörte, also seelisch bzw. hirnorganisch kranke Menschen. Ihr Gehirn funktioniere anders. Sie gehörten nicht ins Gefängnis, sondern in die geschlossene Psychiatrie (siehe Markowitsch & Siefer 2007). Medikamente, ergänzt durch ständige Verhaltenskontrolle seien der einzige Weg, diese „Kranken“ in Schach zu halten. Gutachten und Hirn-Scans sollten diejenigen herausfiltern, die noch durch (Sozial-)Therapie besserungsfähig und dann zu entlassen seien. Für die anderen gelte: lebenslange Kontrolle, zur Not Sicherungsverwahrung.
    Ist das wirklich so? Müssen viele, die man wegen Gewaltdelikten verurteilt hat, sozusagen für immer in den Knast, alternativ lebenslang Medikamente bekommen und unter Verhaltenskontrolle bleiben? Und was ist dann mit all denjenigen, die nie angeklagt und nie verurteilt werden? Wollen wir die hinzuzählen, könnten wir vermutlich in jeder Straße, in fast jedem Haus jemanden verhaften und entsprechend behandeln: Männer und Frauen, die immer wieder daheim ihre Kinder quälen. Mädchen und Frauen, die jemanden so mobben, dass er oder sie in den Selbstmord getrieben wird. Männer, die Frauen misshandeln und vergewaltigen. Wollen wir wirklich ein Gutteil der Bevölkerung für Psychopathen halten? Das kann doch nicht sein.
    16.1 Wer und was ist ein Psychopath?
    „Gewissenlos – die Psychopathen unter uns“, so reißerisch kommt der Titel eines Fachbuchs über Gewaltverbrecher des kanadischen Kriminalpsychologen Robert Hare (2005) daher, das zum Bestseller geworden ist. Immer zahlreicher werden (historisch: wieder einmal) in den letzten Jahren die Stimmen von biologisch orientierten Psychiatern, die behaupten, dass ein großer Teil der Gewaltverbrecher Psychopathen seien, also gewissenlose, kaltblütige Egomanen ohne Impulskontrolle, die sich einfach nehmen, was man ihnen nicht freiwillig gibt. Psychopath – das ist kein Synonym für „widerlicher Mistkerl“, obwohl der Begriff sich in der Bevölkerung ungefähr so verankert hat. Dieser ursprünglich auf den US-amerikanischen Psychiater Harvey Cleckley (1976, ursprünglich 1941) zurückgehende Begriff wird jedoch meist synonym verwendet mit einer schweren Form der „antisozialen / dissozialen Persönlichkeitsstörung“. Cleckley hatte in den 1940er-Jahren darauf hingewiesen, dass es Menschen (Männer) gab, die charmant, gerissen, ohne jegliche Hemmung und Mitgefühl andere Menschen ausbeuteten, und hatte verlangt, man solle unbedingt mehr Forschung dazu treiben – was inzwischen geschehen ist. Meist hat man Schwerkriminelle in ihren Hirnfunktionen vermessen und befragt und meint nun zu wissen, was einen Psychopathen auszeichne: Veränderungen im limbischen System des Zwischenhirns, Verkleinerungen in Bereichen des Vorderhirns und bestimmten Hirnregionen des Schläfenlappens; Untererregungen da, wo ängstliche Menschen übererregt sind etc. Der Nachweis, dass Psychopathen oder andere Gewalttäter sozusagen präventiv durch „CT-Beweis“ gefunden werden könnten, steht allerdings noch aus (siehe  Interview 11 mit Frank Urbaniok  in diesem Buch; s. auch: Urbaniok et al. 2006).
    Als praktisch anwendbar hat sich die Psychopathie-Checkliste (PCL) von Hare erwiesen. Diese Liste enthält viele Punkte, die jeweils von ExpertInnen eingeschätzt werden sollen, unterteilt nach „ausnützenden“ Qualitäten des zu Begutachtenden, „impulsiven“ und solchen, die nicht genau zuzuordnen sind:
glatter, oberflächlicher Charme
grandiose Selbstüberschätzung
ständiges Bedürfnis nach Stimulation
pathologisches Lügen
Manipulation anderer
Mangel an Schuldgefühl
schwach ausgeprägte Empathiefähigkeit
parasitärer Lebensstil
wenig Verhaltenskontrolle
promiskuitives Sexualverhalten
frühe Verhaltensprobleme
keine langfristigen Lebensziele
Impulsivität
verantwortungsloses

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