Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
zahlreiche Bilder von inneren Kämpfen und Täterintrojekten in den PatientInnen gesehen. Was ist deiner Meinung nach ein Täterintrojekt?
RS: Unter Täterintrojekten verstehe ich alle Manifestationen früherer Gewaltsituationen und Täter im Innern, in der Regel repräsentiert in Anteilen oder Innenpersonen, die den jeweiligen Tätern ähnlich sind und die im heutigen Leben ähnlich destruktive Auswirkungen haben und Normen der Täter tradieren. Sie sind erfahrungsgemäß in der Therapie nicht so einfach zu erreichen, aber ihr Einbezogenwerden in die Therapie ist von entscheidender Bedeutung.
MH: Was tust du, um sie einzubeziehen?
RS: Lass mich noch in Richtung der KollegInnen sagen: Nur die Opferseite der PatienntInnen zu sehen reicht nicht. Jetzt zu deiner Frage: Im gestaltungstherapeutischen Prozess sind die Täteranteile meist zunächst indirekt erkennbar. Dabei ist es wesentlich, die Bildentstehung aufmerksam zu beobachten. Manchmal stockt der Gestaltungsprozess, wird ohne erkennbare Gründe abgebrochen, das Dargestellte wird durchgestrichen oder übermalt oder das Bild zerrissen. Es folgt dann oft eine Unfähigkeit, überhaupt weiterzumalen, und manchmal ist es erforderlich, die PatientInnen erst einmal zu reorientieren. Beim Gestalten in der Gruppe erfordern solche Situationen besonderes Fingerspitzengefühl, da die PatientInnen sich in der Regel anderen gegenüber zu diesen Abläufen nicht ohne Weiteres verständlich machen können und zumeist gibt es auch ein Sprechverbot über das Geschehene. Ich stelle mir dann in solchen Situationen vor, dass die Täterintrojekte aus dem Inneren der PatientInnen ganz genau „hinschauen“, wie ich mit dieser Situation umgehe. Das versuche ich, indem ich zwar klare Grenzen benenne, wie z. B. Gewaltfreiheit im Umgang mit sich und anderen und dem Material, aber trotzdem gebe ich zu erkennen, dass ich das, was sich da gezeigt hat, ernst nehme und dass ich zu einem anderen Zeitpunkt in einem anderen Rahmen bereit bin, mit ihm in Kontakt zu gehen. In der Regel greife ich dann diese Abläufe in den folgenden Einzeltherapiestunden auf und wir rekonstruieren den Prozess nochmals anhand der Bilder oder Bildreste.
MH: Manche KlientInnen werden auch selbst zu TäterInnen. Wie arbeitest du, wenn sie selbst anderen etwas angetan haben?
RS: Im Umgang mit realer Täterschaft und Schuld kann die Kunsttherapie die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung stellen wie bei anderen traumabezogenen Themen. Auch hier kann sie begleiten, verdeutlichen und zeigen, was noch nicht gesagt werden kann. Im besten Fall wird sie die therapeutische Beziehung entlasten und fokussieren. Eigene Täterschaft ist in der Regel für die selbst Traumatisierten nur sehr schwer erträglich und es ist hilfreich, sie zunächst vor dem Hintergrund des eigenen Traumatisiert-Seins besser einordnen und verstehen zu können, z. B. als Ausdruck der täteridentifizierten Seiten oder als im Rahmen von sadistischen Misshandlungssituationen erzwungen. Die Taten sind damit nicht „entschuldigt“, können aber verstanden werden – eine wichtige Voraussetzung für die Prävention weiterer Taten! Die Auseinandersetzung damit ist in der Regel ein langer Prozess und es bedarf umfassender Integrationsschritte, um das Entsetzliche einer eigenen Täterschaft nicht weiter dissoziiert im Abseits des inneren Gesamtgeschehens zu halten. Auch da hängt viel von der TherapeutIn ab: Traut sie sich zu, genau hinzuschauen, etwas anzuregen oder auszusprechen?
MH: Und was hilft, Täterintrojektanteile in die Therapie hineinzuholen? Was kann bestenfalls daraus werden?
RS: Die Täterintrojektanteile in die Therapie hineinzuholen erfordert eine Vertrauensbasis und ein gutes Gespür für den richtigen Zeitpunkt bzw. in der Regel mehrere Versuche. Zu früh und zu schnell unternommen werden sie den Therapiewiderstand erhöhen. Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit einer grundsätzlich neugierigen und akzeptierenden Haltung „allem gegenüber, was da innen ist“. Ich habe den Eindruck, ich werde in eben dieser Haltung eine Zeit lang beobachtet und geprüft. Meine Zuverlässigkeit wird getestet, bevor sich diese Anteile darauf einlassen, sich am therapeutischen Prozess zu beteiligen. Diese Beteiligung besteht am Anfang in der Regel darin, ihre ablehnenden und destruktiven Positionen klarzumachen, zu begründen und zu verteidigen, oft in drastischen Bildern ausgedrückt. Auch hier lässt sich über Gemaltes anfänglich wesentlich leichter
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