Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Wünschen und Handlungsimpulsen entwickelt haben. Gemeinsam ist nur die Ursprungssituation: dass in Momenten von existenzieller Not ein Teil (oder mehrere) der Persönlichkeit gar nicht anders kann, als die Spiegelung des anderen zu „machen“ und diese Spiegelung im Innern zu speichern. Was daraus wird, kann sehr verschieden sein. Eine Mischung aus Impulsivität und kühler Planung kennzeichnet auf Dauer die Anteile, die nach innen oder nach außen zerstörerisch werden können: als Racheimpuls, mörderische Zwangsfantasie oder als eine Art innerer, jederzeit eruptiv werdender Aggressions-„Geysir“. Wenn Menschen diese Impulse nach außen richten und zum Täter werden, müssen Gutachter und Behandler darauf achten, wie hoch der Anteil des (vielleicht sogar lustbetonten oder auch zwangsgesteuerten) Planens und Handelns ist und wie stark die Impulsivität ist. Ähnliches gilt für die Menschen, die ihre Wucht nach innen wenden, als Selbstverletzung, Suchtdruck oder Suizidalität.
Entscheidend ist: Wir müssen so früh wie möglich mit den Menschen in Kontakt kommen, die traumatischen Stress durch andere Menschen erlitten haben, und ihnen die Hand reichen, damit die „Spiegel-Splitter“ des Täters oder der Täterin kein Eigenleben im Innern entwickeln oder sich immer weiter in die Persönlichkeit „hineinfressen“, sondern verwandelt werden können. Aus der Wucht der erlittenen Gewalt können Menschen nämlich auch etwas Gutes machen. Leiderfahrung kann auch Wachstum anregen. Dann, wenn das Erlebte im Bewusstsein und mit möglichst allen Bereichen der Persönlichkeit wahrgenommen und zugeordnet werden kann. Die Folgen von traumatischem Stress sind Dissoziationen. Und die gehen, erst einmal chronisch geworden, nicht von alleine weg. Sie verändern sich aber, wenn man in Begleitung einer sicheren Bindungsperson Folgendes schafft: Man bleibt mit dieser sicheren heutigen Bindungsperson im Hier und Jetzt verbunden – und gleichzeitig öffnet man das traumatische Gedächtnis ein ganz kleines Stück weit und nimmt bewusst wahr, was man „damals“ erlebt und wie man auf das Ereignis „damals“ reagiert hat. Dann versucht man das, was Peter Fonagy „Mentalisieren“ nennt. Man fragt sich: „Wie finde ich das eigentlich, was damals passiert ist? Wie bewerte ich das eigentlich? Was war daran schlimm? Wie hängen die Ereignisse von damals mit meinem späteren Werdegang und meinem heutigen Denken und Sein zusammen? Wie hat mein Körper damals reagiert – habe ich davon heute noch Spuren in meinem Körper?“ Etc. Und man versucht, den anderen, der einem das angetan hat, zu verstehen. Nicht zu entschuldigen oder gar vorschnell zu verzeihen. Sondern zu verstehen. Zum ersten Mal eigentlich: „Wieso hat der das eigentlich gemacht?“ Kinder entschuldigen ihre Eltern meist: „Ach, das hat der nicht so gemeint, das war nicht so schlimm, ich hatte das verdient“ etc. Doch später, bei der Verarbeitung, können ganz andere Bewertungen wichtig sein: „Es war immer, wenn er betrunken und frustriert nach Hause kam.“ Oder: „Er hatte einfach Spaß daran, er hat es geplant, er hat es gewollt, er hätte sich auch anders entscheiden können ...“.
Diese Bewertungen des eigenen und des Verhaltens des Täters oder der Täterin helfen dann, das Gewaltgeschehen oder die Vernachlässigungs- oder Verlusterfahrung zu verarbeiten. Und immer mehr Stückchen des großen Puzzles werden nach und nach zusammengesetzt: „Ah, das ist mir passiert, wirklich mir (nicht nur z. B. meiner Schwester). Ach, das hatte ja Anfang, Mitte und Ende – obwohl ich bis gerade eben noch dachte, es wird nie vorbei sein. Tatsächlich – es ist dort und damals passiert und nicht immerzu jetzt. Ich kann ja wirklich Begriffe dafür finden. Ich kann auch allmählich verstehen, was das alles mit mir gemacht hat, welche Auswirkungen das damalige Geschehen für mein Leben hatte.“ Und was kann dabei herauskommen? Ein Mensch, der sein Trauma hinter sich gelassen, aber daraus gelernt hat. Eine Frau oder ein Mann, die nicht unbewusst die Grausamkeiten weitergeben, die sie selbst erlitten haben. Die den Zirkel der Gewalt durchbrochen haben. Die frei sind. Und sehr oft habe ich erlebt, was das heißen kann. Welche Kraft Menschen zuwächst, die ihre Energie nicht mehr dafür verwenden müssen, sich den Schrecken innerlich vom Hals zu halten oder mit ihren inneren Dämonen zu kämpfen. Und ich kenne viele ehemalige Täterintrojekte und
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