Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
innerlich zu ver-körpern, ihn zu spiegeln sozusagen, wobei die sogenannen Spiegelneurone offenbar eine wichtige Rolle spielen. Es handelt sich also offenbar nicht um eine Art Modell-Lernen, sondern um einen viel einfacheren neurologischen Spiegelungsvorgang. Sie haben die Äußerungen von Onno van der Hart in diesem Buch gelesen, einer der Erfinder (oder muss man sagen: Wieder-Entdecker? Denn der (Er-)Finder war wohl Pierre Janet Ende des 19. Jahrhunderts) der strukturellen Dissoziationstheorie. Er spricht von „täterimitierenden Anteilen“. Doch reicht das aus, um das Phänomen zu verstehen?
Wenn Sie das Buch sorgfältig studiert haben, werden Sie entdeckt haben, dass es noch andere „Feinde im Innern“ gibt als nur täteridentifizierte Anteile. Sondern selbstschützende, aber nach innen oder nach außen aggressive Anteile, die dafür sorgen, dass die Persönlichkeit möglichst keine vertrauensvolle Bindung und keine Risiken eingeht, einzig aus dem Grund, weil man „niemandem trauen“ soll. Auch diese Anteile, aus eigener bitterer Erfahrung lernend, können für TherapeutInnen oder auch die Alltagspersönlichkeit eines Opfers äußerst hinderlich sein und als „Feind im Innern“ empfunden werden. Weiter: Aus der Arbeit mit hoch dissoziativen Menschen, deren Selbst-Anteile über ein eigenes Ich-Bewusstsein verfügen, wissen wir: Die Anteile, die nicht unmittelbar Erinnerungen an Gewalt enthalten und nicht die Alltagspersönlichkeit sind, können sich enorm adaptieren an moderne heutige Gegebenheiten. Sie können ein Eigenleben entwickeln, sich an neue Lebensumstände anpassen und „lernen“ – auch wenn die Alltagspersönlichkeit die ganze Zeit über etwas völlig anderes will, andere Wege einschlägt etc.
Weiter: Diese ursprünglich aus der Misshandlungs- oder Verlassenheitserfahrung mit den primären Bindungspersonen (Eltern) stammenden Anteile der Persönlichkeit können eigene Allianzen bilden mit bestimmten, der Alltagspersönlichkeit weitgehend „fremden“ Ich-Anteilen (inneren Beobachtern oder an lustvoller Verbotsübertretung interessierten Anteilen zum Beispiel oder Zwangsgedanken und -impulsen ...) und können ganze „Schichten von unterschiedlichen Teilpersönlichkeiten“ im Innern bilden. Damit nicht genug: Es gibt auch noch die Anteile, die täterloyal direkt durch die Täter in die Persönlichkeit „hineingefoltert“ wurden. So kann ein Täter das, sagen wir, Kind foltern und ihm sagen: „Gleich wirst du die Augen aufmachen. Und das Kind, das die Augen aufmacht, wird Judith heißen und Judith wird alles machen, was ich sage“, sodass es dann im Innern der Persönlichkeit eine täterloyale „Judith“ geben wird, die alles tut, was der Täter sagt. Solche Anteile können wiederum anderen Persönlichkeitsbereichen als „implantiert“ und völlig Ich-fremd vorkommen. Folterer im Bereich organisierter Formen von sogenannter Kinderpornografie und Kinderprostitution, destruktiver Kulte etc. haben sich längst des Wissens um die Möglichkeit solcher Implantate bedient und „trainieren“ ihre Opfer darauf, gehorsam zu sein.
Auch jenseits solcher spezifischen Trainings sind viele Menschen täterloyal. Häufig sogar in ihrem Alltags-Ich. Sie haben vielleicht verinnerlicht, dass es am wichtigsten sei zu funktionieren; dass man die Familie (gleichgültig, wie viel Gewalt in ihr herrscht/e) nicht im Stich lassen dürfe; dass einem ohnehin niemand glaubt; dass man „mutterseelenallein“ es nicht schaffen könne, durchs Leben zu kommen; dass „eine Tracht Prügel“ oder die „Doktor-Spiele“ doch nicht geschadet hätten und so weiter. Viele, sehr viele verlassene und gequälte Kinder wachsen zu seelentauben und für ihre und die Schmerzen anderer blinden Erwachsenen heran und „schlagen sich irgendwie durch“. Je früher sie Gewalt gegen sich oder andere anwandten, desto tiefer wird sie Teil ihrer Persönlichkeit.
Die einen erleben also durchbruchartige Zustände oder Anteile von Zerstörungskraft. In die anderen sickert das Zerstörungspotenzial wie Gift in ihr Wesen und macht sie blind und taub für Mitgefühl.
Mit anderen Worten: Das, was ich hier – der allgemeinen Gepflogenheit folgend – Täterintrojekte genannt habe, besteht aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen, die teils wortwörtlich spiegeln und wiederholen, was Täter wollten und gesagt haben, teils aber auch ein Eigenleben mit u.U. sogar längst von den Ursprungstätern entkoppelten
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