Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Behandlung von Tätern durch, die Geschwister missbraucht haben. Ergebnis ebenfalls: In solchen Inzest-Familien sind die Geschwister dem Täter „verfügbar“ und werden nicht durch die Eltern geschützt. Es zeigte sich genau wie bei Klees Studie eine typische Organisationsstruktur der Familie: dominanter Vater, passive Mutter; beide Eltern stehen den Kindern emotional nicht zur Verfügung. Andere Studien zeigen, dass in solchen Familien auch viel Gewalt unter den Erwachsenen herrscht (Daie et al. 1989, O’Brian 1991, Worling 1995) und es ein sexualisiertes Klima gibt. Worling (1995) beschreibt den hohen Pornografiekonsum in diesen Elternhäusern. Die Kinder werden oft Zeuge elterlichen Geschlechtsverkehrs. In einer Studie von Smith & Israel (1987) berichtete die Hälfte der Täter, Zeuge sexueller Aktivitäten der Eltern gewesen zu sein.
Pornografisierung der Kinderzimmer
Meine Kollegin Tabea Freitag hat mit ihrem Mann Eberhard in Hannover 2008 die Beratungsstelle „Return – Fachstelle Mediensucht (für exzessiven Medienkonsum)“ gegründet. Häufig ist sie unterwegs und hält Vorträge über die immer größere Gefahr von Internet- und Sexsucht, insbesondere bei jungen Männern. Und sie trägt Zahlen zusammen, die teilweise geradezu haarsträubend sind (viele finden sich in ihren Vortragsunterlagen auf ihrer Internet-Seite http://www.tabea-freitag.de ): Mehr als 20 % aller männlichen Jugendlichen schauen täglich Pornovideos an, so zitiert sie eine große Prävalenzstudie (mit über 6 500 Teilnehmern) der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung. Tägliche Konsumenten sind dreimal so häufig Täter von sexuellem Missbrauch als seltenere Konsumenten. Sie zitiert eine Studie der pro familia aus dem Jahr 2006, nach der 16 % der Befragten zu diesem Zeitpunkt bereits illegale Gewalt-, Sodomie-, sexuelle Verstümmelungs- oder Kinderpornografie-Videos angeschaut hatten. Und sie schrieb mir: „Wenn man sich die Ausmaße vor Augen hält ... und die zunehmenden sexuellen Übergriffe unter Gleichaltrigen, bräuchten wir dringend eine Sensibilisierungskampagne“ (Persönliche Mitteilung, November 2012; siehe auch Freitag, 2011). Tatsächlich ist es wohl so, wie Christian Weber in der Süddeutschen Zeitung (20. Oktober 2012) schreibt, dass immer mehr jungen Frauen „Sex nach Drehbuch“ aufgezwungen wird – nicht selten ein Drehbuch, das aus den angeschauten Pornos kommt, in denen ein Junge / Mann immer „kann“ und eine junge Frau / ein Mädchen immer „will“. Pornos als „heimlicher Lehrplan“? Weber nennt die durch die Pornografisierung der Gesellschaft ausgelöste Veränderung der realen Sexualität ein gesellschaftliches „Langzeitexperiment mit ungewissem Ausgang“. Auch seine zusammengetragenen Daten erschrecken: „Einer Onlinebefragung der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS) zufolge konsumierten im Jahr 2008 rund 60 % der Männer und ca. 10 % der Frauen täglich oder zumindest wöchentlich Pornografie. Rund ein Drittel der Mädchen und Jungen haben nach der Dr.-Sommer-Studie des Marktforschungsinstitutes Iconkids & Youth bereits im Alter von elf Jahren zum ersten Mal einschlägige Bilder oder Filme gesehen. Bis zum 17. Lebensjahr sind es dann 93 % der Jungen und 80 % der Mädchen, wobei nur 8 % der Jungen und 1 % der Mädchen regelmäßig konsumieren.“ [2]
Es ist zu vermuten, dass es Jugendlichen, die sich jüngere Kinder gefügig machen wollen, gefällt, was sie in den Pornos gesehen haben – und dass sie es mit ihnen nachspielen wollen.
Targeting und Grooming
Wer ein Kind so dominieren will, dass er ihm sexuelle Gewalt antun kann, geht in der Regel strategisch vor, so der allgemeine Befund der ForscherInnen. In Klees Studie wurde „am häufigsten ... als Eingangsritual des sexuellen Missbrauchs ein Kinderspiel initiiert. Einige Täter belohnten ihre Opfer oder drohten ihnen. Direkte körperliche Gewalt wurde von etwa der Hälfte aller Untersuchungsteilnehmer eingesetzt – oftmals als Reaktion auf die ansteigende Gegenwehr der Opfer“ (S. 186). Eine Gegenwehr wird in den Pornos nie gezeigt – umso überraschender wirkt sie auf Täter, die dann nicht selten heftig dissoziieren unter der Tat, weil ihnen die Situation außer Kontrolle zu geraten droht (s. Steiner et al., 1997; Dudeck et al., 2007 und Kapitel 17.2 in diesem Buch); dann droht auch die Gewalt zu eskalieren.
Die meisten kindlichen und jugendlichen Täter
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