Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
benehmen sich wie die erwachsenen Täter: „Sexuelle Misshandler suchen die Nähe von Kindern, wählen diese Kinder als Opfer aus (‚targeting‘) und beginnen sie zu umwerben und auszutesten (‚grooming‘). Für die zukünftigen Opfer bleibt es unmöglich zu erkennen, dass der Werbungsprozess des ‚grooming‘ bereits Teil des geplanten sexuellen Misshandlungszyklus ist“ (Fürniss 1999, S. 387).
Esther Klees fasst ihre Studie so zusammen: „Sexueller Missbrauch geschieht nicht spontan, sondern die Täter führen verschiedene Strategien aus, um das Opfer gefügig zu machen ... Viele Sexualtäter nutzen die emotionale Bedürftigkeit ihrer Opfer aus, um diese gefügig zu machen. Diese Strategie ist beim Geschwisterinzest ebenfalls von primärer Bedeutung. Die Kinder wachsen oftmals in einem äußerst feindseligen Familienmilieu auf, das durch Vernachlässigung und Misshandlung geprägt ist. Etwa die Hälfte der Untersuchungsteilnehmer erzwang (meist im Laufe der Zeit, als die Opfer begannen, sich zu wehren, MH) die sexuellen Kontakte mit Gewalt. Einige internationale Studien ermittelten ein vergleichbares Ausmaß“ (S. 129 f.). Außerdem setzten viele der von Klees interviewten Jungen „Drohungen ein, um die sexuellen Handlungen durchzusetzen und die Geheimhaltung sicherzustellen“ (ebd., S. 29 f.).
Wiehe (1990) behauptet sogar, beim Geschwisterinzest – das ist so gut wie immer sexualisierte Gewalt eines Jungen gegen jüngere Geschwister – sei es die Regel, dass der Bruder den jüngeren Geschwistern massiv drohe, oft auch mit dem Tod.
Andrej König hat mit KollegInnen im Auftrag der Landesregierung in NRW sexuell gewalttätige Kinder untersucht und mit 56 Jungen und fünf Mädchen gesprochen, die sexuelle Übergriffe auf Kinder begangen hatten (Elsner, Hebebrand & König 2008). Die 8- bis 14-Jährigen verglich er mit aggressiv übergriffigen sowie unauffälligen Kindern. Ergebnis: Sowohl die sexuell gewalttätigen als auch die aggressiven Kinder hatten sich ähnlich dissozial verhalten und Diebstähle begangen, Feuer gelegt etc. Doch: „Bei sexuell übergriffigen Jungen dominierte insbesondere zusätzlich zu dieser dissozialen Komponente eine depressiv-ängstliche Komponente verknüpft mit sozialen Problemen. Und die sexuell übergriffigen Jungen stammten häufiger aus Familien, in denen sie massive körperliche, psychische oder auch sexuelle Gewalterfahrungen erleiden mussten. Etwa die Hälfte unserer sexuell übergriffigen Jungen hat selber sexuelle Missbrauchserfahrungen erleiden müssen“ (in Fannrich 2010).
Gravierende Folgen
Die Folgen des Geschwisterinzests sind gravierend: Die Opfer leiden in ihrer gesamten Biografie unter den Schrecken, die sie als Kind erlitten haben. Wenn sie sich nicht intensiv mit ihrer Misshandlungsgeschichte auseinandersetzen, kommt es zu beruflichen sowie zu Beziehungsproblemen als PartnerIn und Elternteil und sie haben Schwierigkeiten, sich in ihrem sozialen Umfeld zu behaupten (Canavan et al. 1992, Rudd & Herzberger 1999. Die Folgen sind umso gravierender, je länger der Inzest dauerte, und wenn Drohungen oder Gewalt angewandt wurden (Abrahams & Hoey 1994, Canavan et al. 1992). Laut Philipps-Green (2002) werden Kinder, die sexuelle Gewalt erlitten haben, früh sexualisiert; gleichzeitig kann es zu einer Verwirrung bezüglich ihrer sexuellen Identität kommen. Rudd & Herzberger (1999) beschreiben weitere Folgen der kindlichen Erfahrung, in sexualisierter Weise überwältigt worden zu sein; dazu gehören Störungen in der eigenen Sexualität wie Frigidität, häufig wechselnde Sexualbeziehungen, Depressionen, Drogen-, Tabletten- und Alkoholmissbrauch sowie Essstörungen.
Reinszenierung der eigenen Misshandlung
„In der Biografie von Kindesmissbrauchern fanden sich wesentlich häufiger Missbrauchserfahrungen als in der Biografie von Vergewaltigern (Hendriks & Bijleveld 2004, Hsu & Starzynski 1990, van Wijk 1999, van Wijk & Blokland 1999, van Wijk et al. 2005)“, fand Wolff-Dietz in ihrer Studie heraus (2007, S. 111).
Hierzu zwei Zitate aus einer Studie:
„Der Missbraucher versucht mit der Tat, Macht über ein vergangenes traumatisches Ereignis zu gewinnen, bei dem er selbst Opfer war, indem er sich mit dem früheren Täter identifiziert; er reinszeniert seinen eigenen Missbrauch, indem er ein anderes Kind angreift“
(O’Reilly & Carr 2004, S. 38, Übersetzung MH).
„Sexualtäter haben ein schlechtes Selbstwertgefühl ... in Beziehungen. Sie finden
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