Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Täterintrojekte erscheinen eher als Durchbrüche von Sätzen der Täter oder Handlungen, die ganz schnell zum Vorschein kommen und ebenso schnell wieder verschwinden können. Mein jüngstes Therapiekind zum Beispiel, ein dreijähriger, vom Vater sexuell missbrauchter Knabe, kippt während des therapeutischen Spiels plötzlich blitzartig in eine tiefe, hochaggressive Stimmlage und stößt schmutzige Beschimpfungen in der Sprache des Vaters aus. Diese Episoden wirken isoliert vom Rest des Geschehens; der Junge kann in Sekundenschnelle in seinen „normalen“ Alltagszustand zurückwechseln. Dasselbe Kind hat mehrmals am Tag wie „aus heiterem Himmel“ ohne erkennbaren Auslöser Wutausbrüche oder fällt in Zustände von Trauer und Verzweiflung.
MH: Bleiben solch isolierte Gefühlsausbrüche und Verhaltensmuster im Laufe des Lebens bestehen? Du hast ja viele Kinder auch im weiteren Verlauf ihres Lebens gesehen.
JS: Auch bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen können Täterintrojekte als isoliert wirkende Handlungen, sprachliche Ausdrücke oder Gefühlszustände zum Ausdruck kommen. Mit zunehmender Reife des Gehirns können sich jedoch ganze in sich geschlossene und vom Rest der Persönlichkeit getrennte täterimitierende und täterloyale Innenpersönlichkeiten entwickeln. Diese denken und handeln wie die Täter und vertreten explizit deren Wertesystem. Sie haben keinen Bezug zur normalen Alltagswelt und kennen auch entsprechende sprachliche Ausdrücke und Verhaltensregeln nicht. So fragt mich zum Beispiel ein täterimitierender männlicher Jugendlicher einer 25-jährigen multiplen Frau:
Er: Schlägst du mich?
Th: Nein, hier wird nicht geschlagen.
Er: Warum nicht?
Th: Hier wird niemandem etwas angetan, dies hier ist ein Ort, wo geholfen wird.
Er: Was ist helfen?
MH: Woran erkennst du, ob Gedanken, Impulse oder Handlungen deiner KlientInnen vermutlich von der Art eines Täterintrojekts sind?
JS: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: z. B. wenn die Therapie stagniert, Termine nicht eingehalten werden, die KlientIn ohne ersichtlichen Grund mit Therapieabbruch droht; wenn alte, bereits überwundene Symptome erneut aufflammen. All dies kann auf den Einfluss von Täterintrojekten hinweisen. Auch sich selbst zugefügte Verletzungen und selbstquälerische Gedanken können Ausdruck von Aktivitäten eines Täterintrojektes sein. Es handelt sich dabei um sich selbst sabotierende Handlungen, die „als verlängerter Arm des Täters“ zu verstehen sind und zum Ziel haben, die therapeutische Beziehung zu zerstören und einen Therapieabbruch zu bewirken. Fremd und feindlich wirkende Verhaltensänderungen während der Therapie können auf die Anwesenheit eines Täterintrojektes hinweisen. Mit einer tiefen, kalten Stimme und mit körperlichen Drohgebärden kann ein täterimitierender Persönlichkeitsanteil die TherapeutIn angreifen und versuchen sie einzuschüchtern. Meistens werden täterimitierende und täterloyale Anteile sehr aktiv, wenn die KlientIn etwas Neues lernt, sich also einen Schritt von den Prägungen, Konditionierungen, Aufträgen und Zwängen der Täter entfernt.
MH: Wie erklärst du dir, dass es im Innern der doch so verzweifelt um ihr Überleben und ihre Gesundheit kämpfenden Menschen so viel Negatives, Brutales und sie selbst Quälendes gibt?
JS: Kinder sind nicht in der Lage, ein gesundes Bild von sich selber aufzubauen, wenn sie keine akzeptierenden, wohlwollenden und unterstützenden Reaktionen von ihrer Umwelt erhalten. Ein Kind, das bereits ab Geburt vorwiegend Destruktives erlebt und fast nur zu hören bekommt, wie schlecht, böse, abscheulich es sei, wird diese Erfahrungen verinnerlichen und tief im Innern eine negative und vernichtende Überzeugung von sich selbst entwickeln. Das Selbstquälerische und Destruktive in diesen Menschen ist wie ein Abbild von dem, was meistens schon sehr früh in sie hineingedrückt, -geschrien, -geschlagen und -gequält wird.
Überlebende von frühem Missbrauch, von Folter oder sadistischen Quälereien lernen früh, das Verhalten ihrer Peiniger genau zu beobachten und zu imitieren. Bei oft ritualisiert wiederholten Qualen entstehen so die täterimitierenden und täterloyalen Anteile, die vom alltäglichen Bewusstsein abgetrennt (dissoziiert) sind.
MH: Welche – wenn man so will – Logik steckt in dieser Dissoziation und dem Handeln der Täterintrojekte?
JS: Es handelt sich dabei um dysfunktionale Versuche, sich selbst zu schützen, als ob das
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